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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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Autoren zu finden. Sie hatte von einem Erbe ein kleines Büro auf der Fifth Avenue und 51st Street eröffnet und mit eleganten Möbeln ausgestattet. Dann hatte sie Claire eingestellt. Im Grunde wider ihre Natur war Claire auf die Idee gekommen, Erika Edelweiss mit meinem Buch zu beauftragen. Sie erzählte ihrer neuen Chefin also, dass sie ungebunden war und benutzte ihren Mädchennamen. Auf die Art könnte sie meine Arbeit loben, ohne voreingenommen zu wirken, all ihren Enthusiasmus hineinlegen, sobald der Roman auf Papier existierte. Es war wirklich keine besonders gute Idee. Aber manchmal schleicht sich etwas so Absurdes mit so erstaunlicher Leichtigkeit in dein Leben, dass du das Warum und Wieso nie mehr ganz verstehen wirst.
    Nach einer Stunde in der Krankenhauscafeteria nahm ich den Fahrstuhl zurück nach oben und lauschte für ein paar Sekunden an der Tür.
    Claire hatte ihre Decke bis zum Kinn hochgezogen, als ich ins Zimmer trat. Ich dachte, sie würde schlafen, aber ihre Augen öffneten sich. Im Zimmer roch es verbrannt. Ein glatzköpfiger Arzt in roten Laufschuhen spazierte in Begleitung von drei Krankenschwestern in den Raum.
    »Ah, ein Besucher«, sagte er in einem Ton aufgesetzter Fröhlichkeit und schickte ein kurzes Lächeln in meine Richtung. Dann setzte er sich neben Claire und studierte die Akte.
    »Ich sehe keinen Grund zur Sorge«, sagte er endlich, immer noch auf seinen Bericht blickend.
    »Was die Dame erlebt hat, passiert nicht alle Tage. Sie hat einen Stromschlag überlebt, der eigentlich tödlich sein sollte.« Er sah mich an und zeigte mit seinem Zeigefinger auf Claire.
    »Nicht mal Verbrennungen ersten Grades. Kein Kratzer. Kein Garnichts.«
    »Und? Haben Sie es sich schon überlegt wegen der Fahrt?«, fragte er jetzt wieder direkt Claire. Dann nickte er, ohne auf eine Antwort zu warten, seine eigenen Worte bestätigend und seinen Zeigefinger zurückziehend. Als Nächstes ergriff er Claires Hand, sah sich die Bandagen an und nahm sie dann mit leicht ungeduldigem Gesichtsausdruck eines widerspenstigen Kindes ab. Einen Moment später schüttelte er dieselbe Hand sanft, drehte sich um und verließ das Zimmer mit seinem Gefolge.
    »Was meinte er?«, fragte ich in die plötzliche Stille.
    »Es kann gut sein, dass ich das Krankenhaus verlassen muss«, sagte Claire. Sie zog sich selbst wieder ein bisschen im Bett hoch, und nun glitt die Decke von ihren nackten Füßen.
    »Es gibt da ein Krankenhaus, wo sie Blitzopfer untersuchen«, sagte sie, »in Arizona. Einer der Assistenzärzte sagte mir, sie denken darüber nach, mich dorthin zu schicken. Die Leute im Krankenhaus in Arizona haben von mir gehört und angefragt.«
    Ich stand auf, ging zum Fenster und blickte durch den Regen. Als ich mich umdrehte, starrte Claire ins Leere, die Hände zwischen ihren Beine gefaltet, ihre Schultern müde nach vorne gebeugt. Ich dachte an ihr Lachen, und wie ich einst geglaubt hatte, es könnte allem standhalten. Sie schien enorm traurig, trauriger als ich sie je gesehen hatte.
    Nachdem ich das Krankenhaus wieder verlassen hatte, lief ich trotz des heftigen Regens erneut durch Manhattans Straßen. Ich lief und lief und hatte nicht vor anzuhalten. In zwei Tagen hatten sich mehr Probleme aufgetürmt als ich bewältigen konnte. Claire war im Krankenhaus und wurde wahrscheinlich fortgeschickt. Amos, der allein durch seine Existenz mein Leben während der letzten Monate in Park Slope erträglich gemacht hatte, hatte sich auf schreckliche Art gegen mich gestellt, indem er mich zu einem Verdächtigen in einem Kriminalfall gemacht hatte.
    Ich kam am Union Square an, meine Schuhe bis auf die Socken nass, unter meiner Kleidung verschwitzt, mein Gehirn erschöpft. Diesmal nahm ich die Linie Q, der über die Manhattan Bridge führt. Auf halbem Weg nach Brooklyn hielt die U-Bahn ohne irgendeine Erklärung seitens des Zugführers über das Lautsprechersystem auf der Brücke an. Die Fahrgäste sahen einen Himmel mit schweren Regenwolken, die zum Atlantik hintrieben. Ein plötzliches Aufbrechen der Wolken offenbarte die Spätsommersonne, die nicht in den Augen schmerzte, wenn man direkt hineinsah. Ich starrte in den Himmel. Es war geradezu so, als ob ich von dem weißen Licht hypnotisiert wäre, als ob etwas in mich eindränge. Ich bin kein religiöser Mann, aber es war, als schickte mir der Himmel eine Nachricht. Als wollte mir jemand sagen, dass es zu früh war aufzugeben. Ich atmete tief ein, und die Moleküle in der Luft

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