Der Schatten von nebenan - Roman
Amos und seine Frau mich wahrgenommen hatten.
»Bitte reden Sie«, forderte mich Kate Amos auf, »sagen Sie mir, wo unsere Tochter ist. Ich bitte Sie.«
Ich war nun fassungslos. All das, was sich bisher durch den Detective angedeutet hatte, bündelte sich nun in erschreckender Klarheit in den Worten dieser Frau.
»Am Tag, an dem ich mit Ihrer Tochter sprach, hatte sie nicht genug Kleingeld. Ich half ihr aus. Das war alles. Was auch immer ich an dem Tag zu Greta gesagt haben mag, ich glaube nicht, dass ich sagte, ich kenne Ihren Mann. Ich meinte, dass ich die Bücher Ihres Mannes kenne, das war alles«, sagte ich.
Sie holte eine Zigarette und ein Streichholzheftchen aus der Ablage des kleinen Kaffeetischs. Mit dem letzten Streichholz zündete sie die Zigarette mit zitternder Hand an. Sie starrte mich an. Ihre Augen waren feucht. Ich sah, wie sich ihre Lippen um den Filter herum abzeichneten, ich sah den Winkel ihres dünnen Handgelenks. Aber ich sah auch den Hass in ihrem Gesicht. Mir kam plötzlich die Frage in den Sinn, ob die Amos’ eine Pistole besaßen.
Sie zog ein paar Mal und sagte dann, »Mein Mann David spielte die ganze Sache herunter. Wir hatten Sie bemerkt, bevor wir wussten, dass Sie unser Nachbar geworden waren. David dachte, Sie wären vielleicht an unserem Haus interessiert, ein Makler. Das war, bevor Sie sich Greta näherten. Greta dachte – bevor Sie sie belästigt haben … sie dachte, dass Sie sich für mich interessierten. Aber David glaubte das nicht. David und ich kamen schließlich zu dem Schluss, dass Sie hinter Greta her waren. Wir erzählten ihr zwar nie von unserem Verdacht, aber wir waren sicher, dass Ihr Interesse ihr galt.«
Da brach es aus mir heraus: »Hören Sie, so ist das nicht, Mrs. Amos, ich habe nichts mit dem Verschwinden Ihrer Tochter zu tun. Ich weiß nichts darüber. Ich wünschte, ich könnte irgendwie helfen.«
Nun erhob sie sich.
»Es ist nicht wichtig, warum Sie es taten. Ich bitte Sie, helfen Sie.«
Sie pausierte ein paar Sekunden, und als sie fortfuhr, erreichte ihre Stimme einen hohen Ton, der wie ein Tierlaut durch das Wohnzimmer klang. »Wie sagt man seiner Tochter, dass jemand hinter ihr her ist? Wie?« Nun fand sich eine Spur Boshaftigkeit in ihrer Stimme, und die Behauptung schmerzte wie ein Stich. Ich saß im Ledersessel des Mannes, den ich verehrte, und wurde von seiner Frau beschuldigt, die Vollkommenheit seiner Familie zerstört zu haben. Kate Amos’ Kopf zitterte. Ihre körperliche Schmalheit schien ganz plötzlich unnatürlich. Sie sah aus, als wäre sie unterernährt. Ihr Haar war von einem solch blauen Schwarz, dass ich dachte, sie müsse es gefärbt haben. Sie zündete mit einem goldenen Feuerzeug noch eine ihrer langen, dünnen Damenzigaretten an, die sie aus einer kleinen Handtasche gezogen hatte, während die andere immer noch im Aschenbecher brannte, inhalierte heftig und blies kurze Rauchwolken aus, die langsam davontanzten.
»Helfen Sie mir«, bettelte sie und legte die zweite Zigarette in den Aschenbecher, »helfen Sie mir. Wo ist sie? Wo ist meine Tochter?«
Mit einem stummen Schrei bitterer Unzufriedenheit auf den Lippen posierte sie nun, und mit einer sehr schnellen Bewegung hob sie ihr Kleid mit beiden Händen bis zum Kinn und streckte ihre Ellbogen heraus, als wären sie zwei Flügel. Sie trug keinen Büstenhalter und ihre weißen Brüste schwebten in perfekter Symmetrie vor meinen Augen. Die dunklen Brustwarzen verhärteten sich und sahen aus, als ob sie mich anstarrten.
»Was wollen Sie?«, fragte sie erneut, die Worte aus ihrem Mundwinkel pressend. »Was ist es? Sie können es haben.«
»Mrs. Amos, bitte glauben Sie mir. Es tut mir wirklich entsetzlich Leid«, sagte ich, »ich weiß einfach nicht, wo sie ist. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Ich hoffe, Sie finden Greta bald, aber ich habe nichts mit ihrem Verschwinden zu tun. Sie müssen mir glauben.«
Als ich aus meinem Sessel aufstand, ließ Kate Amos ihr Kleid fallen, aber es hing an ihren Hüften fest. Sie streckte ihre Hand nicht aus, sondern stand in ihrem Wohnzimmer und sah zu, wie ich aus ihrem Haus ging. All ihre Schönheit und Zartheit, aber auch ihre ganze Nervosität und Angst verwandelten sich in kalten Stein. Endlich warf sie das Glas nach mir. Ich hörte es vom Türrahmen abprallen und den Boden treffen. Merkwürdigerweise zerbrach es nicht.
-2-
U nsere Küchenuhr zeigte fast elf. Das Treffen hatte rein gar nichts gelöst. In Kate Amos’
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