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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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Augen war ich schuldig. Sie hatte keinen Zweifel, dass ich in das Verschwinden ihrer Tochter verstrickt war. Ihr Hass umklammerte mich, und der Griff verstärkte sich noch, als ich verstand, dass es keinen Grund gab zu glauben, dass David Amos anderer Ansicht war.
    In Amos’ Haus gewesen zu sein, war für mich das letzte Läuten in diesem tagelangen Weckruf. Es war der Augenblick, in dem ich mit plötzlicher Klarheit verstand, dass ich handeln musste. Ich ging hinunter in den Keller, um nach einem Hammer, einem Bohrer, Schrauben und ein paar Nägeln zu suchen. Ich fand alles in dem harten Plastikbeutel, der im Metallschrank hinter der Tür verstaut war. Dann eilte ich wieder nach oben. Ich begab mich ins Schlafzimmer und suchte nach den Rollläden, die ich vor ein paar Wochen gekauft hatte. Die Luft im Zimmer neben dem Bad war warm, und das Fenster stand ein wenig offen. Da war etwas Wasser auf dem Fensterbrett vom abgeklungenen Regen. Ein sanfter Wind wehte gleichmäßig durch die Kastanie vor dem Haus. Der Geruch des Sommers war in die Stadt zurückgekehrt. Auf dem Gehweg führte ein Mann in kurzen Hosen seinen Schäferhund spazieren. Irgendwo schob jemand ein Fenster auf. Gerade als ich die Plastikverpackung der Rollläden öffnen wollte, ging das Licht in Gretas Zimmer an, und Kate Amos kam herein. Instinktiv duckte ich mich. Ich fürchtete, sie würde mich sehen oder hören, wenn ich damit begann, die Rollläden zu befestigen. Kate Amos zog den Stuhl vom Schreibtisch in der rechten Ecke des Zimmers, setzte sich und starrte traurig in ihre Erinnerungen. Da erkannte ich in ihren Zügen plötzlich eine starke Ähnlichkeit zu Greta, die mir zuvor nicht aufgefallen war. Ich weiß nicht, ob es am Licht lag, vielleicht half die Entfernung, oder die Traurigkeit, oder nur der Winkel, aus dem ich sie sehen konnte. Und plötzlich, vielleicht wegen der Ähnlichkeit, kam mir der rettende Gedanke. Ich musste Greta finden. Sie zu finden, könnte mein Leben wieder in die richtige Bahn lenken. Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte, wusste nicht, ob es die leiseste Chance für mich gab, ein verloren gegangenes Mädchen in New York aufzuspüren, aber ich hetzte trotzdem in Eile los. Ich glaube im Nachhinein nicht, dass ich wirklich erwartete, auf Greta zu stoßen, sondern dass ich mich in meiner Verzweiflung schlicht einem panischen Aktionismus ergab.
    Da kam mir der Zufall zu Hilfe. Als ich an dem altersschwachen Backsteinhaus der Katzenfrau vorbeiging, im Grunde ziellos Richtung Park marschierte, vernahm ich ein Rascheln, das aus den Büschen zu kommen schien. Das Gesicht einer Frau malte sich aus der Fliederhecke, weiß wie saubere Bettlaken und mit einem Lächeln, das mir unter dem gelben Mond ihre gebogenen Zähne zeigte.
    »Ängstlich, junger Mann? Suchen Sie nach etwas?«, sagte sie mit quäkender Stimme. »Oh«, fuhr sie fort und kicherte ein hässliches Glucksen, »Ich suche auch. Ich suche nach Margo.«
    »Margo?«
    »Sie ist ’ne süße Wildkatze. Braun mit dunklen Punkten. Sie ist eine verdammt Süße. Sie geht immer gemütlich so weit die Straße reicht. Ich muss sie nett behandeln, aber sie rennt immer davon, die kleine Bazille. Nach wem suchen Sie um diese Zeit? Auch nach einer Katze?
    »Nein, es ist keine Katze. Es ist ein Mädchen. Die Tochter unseres Nachbarn.«
    Ich nickte zum Haus der Amos’.
    »Och, die. Ist schnell groß geworden, nicht wahr, das Mädchen?«, sagte sie. »Die werden heutzutage alle so schnell erwachsen, nicht wahr? Und sie ist weg, sagen Sie?«
    »Ja. Seit ein paar Tagen. Die Polizei sucht nach ihr.«
    »Ist ein großes Mädchen. Sie mochte früher meine Katzen. Ist hochnäsig geworden. Sie sagen, die Polizei sucht sie? Aber warum die Aufregung? Sie ist dauernd weg, die groß gewordene Kleine.«
    »Immer weg?«, wiederholte ich.
    Und dann flüsterte sie: »Weil sie ein Mädchen mit Geheimnissen ist. Margo. Da bist du ja, meine Süße. Du kleine Süße, Margo, du Spatz, du Miezekatze.«
    Ein dunkler Schatten tanzte aus dem Gebüsch und schnurrte um die Beine der Frau.
    »Was meinen Sie mit Geheimnissen?«, fragte ich wieder.
    »Der Mann will was über das Mädchen herausfinden, Miezi«, sagte sie zu der Katze, »er weiß nicht, dass sie woanders lebt. An einem anderen Ort«, flüsterte sie.
    »Wo?«
    »Verbringt dort eine Menge Zeit. Chapelle’s«, meinte sie leise.
    »Der Buchladen?«, fragte ich erstaunt.
    »Margo. Margo. Wir wissen das, nicht wahr? Wir haben es gesehen. Und

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