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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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würde. Waffen hatte man ihnen aus dem selben Grund verweigert, und ihre Vorräte an Wasser und Proviant waren knapp bemessen. Aufgrund der Sternenkonstellation hatte Sarah berechnet, dass sie Thots Schatten in rund zwölf Stunden erreichen würden. Entsprechend gering war die Verpflegung, die man ihnen mitgegeben hatte. Hatte Sarah sich verrechnet oder hatte die Sternenkarte im Tempel von Hermopolis gelogen, so waren sie und Kamal in der Wüste zum Untergang verurteilt.
    Kamal machte noch immer keinen Hehl daraus, dass ihm die Sache nicht gefiel. In den Augen des Tuareg, dessen Stamm über Generationen hinweg das Geheimnis von Thot gehütet hatte, war es Verrat, mit dem Feind zu kooperieren, während Sarah davon ausging, dass die Flucht nach vorn im Augenblick den einzigen Ausweg bot.
    Anfangs hatte Sarah noch gezweifelt, ob es jene geheimnisvolle Waffe tatsächlich gab, hatte sie für einen jener Mythen gehalten, von denen es in der Geschichte so viele gab; aber im Lauf ihrer langen und gefährlichen Suche war ihr klar geworden, dass ein bloßer Mythos nicht Jahrtausende überdauern würde. Thots Geheimnis war kein bloßer Spuk, es war bittere Wirklichkeit.
    Der Ritt dauerte die ganze Nacht hindurch.
    Kamal saß vorn im Sattel und dirigierte das Kamel mit der kurzen Gerte, während Sarah ihre Notizen in Händen hielt und die Richtung, in der sie sich bewegten, immer wieder am Stand der Sterne überprüfte. Einmal passierten sie ein Wasserloch und stiegen ab, um das Kamel saufen zu lassen und ihre Vorräte aufzufüllen, aber das Wasser war verseucht und schlecht, als würde selbst die Wüste mit den Nachfolgern Meherets im Bunde stehen.
    Immer weiter ritten sie nach Nordwesten, durchquerten eine karge, von Gesteinsbrocken übersäte Senke und stießen schließlich wieder auf Dünen, über die der laue Nachtwind strich. In der Art der Tuareg lenkte Kamal das Kamel über die sichelförmigen Kämme, und Sarah hatte Mühe, die Marschrichtung beizubehalten. Mehrmals glaubte sie, die Orientierung verloren zu haben, aber Kamal beruhigte sie und trieb das Tier unbeirrt weiter an. Als im Osten der Morgen heraufdämmerte und das dunkle Blau über der Wüste vertrieb, verblasste der kalte Glanz der Sterne und mit ihm jede Möglichkeit, sich zu orientieren.
    Sarah wollte schon vorschlagen, ein Lager aufzuschlagen und bis zum Einbruch der Dunkelheit zu warten (auch wenn es fraglich war, ob sie ihn je erlebten) – als Kamal einen überraschten Laut ausstieß. Sarah blickte auf, und in der Ferne, im violetten Licht der Morgenröte, gewahrte sie einige kantige Formen, die aus dem sanften Meer der Dünen ragten.
    »Das ist es«, flüsterte Kamal leise, andächtig und bestürzt zugleich. »Thots Schatten.«
    »Wir haben es also gefunden«, erwiderte Sarah mit bebender Stimme.
    »Nein, Sarah. Du ganz allein hast es gefunden und niemand sonst.«
    Kamal schaute über die Schulter zurück, und ihre Blicke begegneten sich für einen langen Moment. Dann ließ er die Zügel schnalzen.
    »Yalla! Yalla!«, befahl er dem Kamel, und das erschöpfte Tier gab alles. Über den schmalen Kamm einer Düne hielt es auf die kantigen Formen zu, die sich schon kurz darauf als die Ruinen jahrtausendealter, aus Lehm errichteter Gebäude herausstellten.
    Unzähligen Augen gleich, starrten dunkle Öffnungen aus den zerfallenen Mauern, die sich auf einem flachen Felsrücken erstreckten und aus deren Mitte ein einsamer Turm ragte. Einst mochte dieses Land eine grünende Oase gewesen sein, ein Flecken fruchtbaren, von Palmenhainen umgebenen Landes inmitten der Leblosigkeit der Wüste. Nun jedoch gab es hier nur noch Sand, der bis an den Fuß des Berges reichte und die untersten Ruinen verschüttet hatte. Aus der einstmals stolzen Siedlung war eine Geisterstadt geworden, deren zinnenförmige Umrisse im Licht der aufgehenden Sonne in Lilatönen schimmerten.
    Der Anblick war von atemberaubender Schönheit und bedrückend zugleich. Sarah versuchte sich vorzustellen, dass an diesem Ort einst eine blutige Schlacht stattgefunden hatte, als die Krieger Meherets auf die Anhänger Tezuds getroffen waren, die das Geheimnis des Thot unter Einsatz ihres Lebens verteidigten.
    Hier war es gewesen, wo das Feuer des Re der Überlieferung nach erstmals seine vernichtende Wirkung unter Beweis gestellt hatte, und Sarah wurde den Eindruck nicht los, dass noch immer Unheil über diesen Ruinen lag. Über Jahrtausende hinweg hatten Menschen vergeblich versucht, diesen legendären Ort

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