Der Schatten von Thot
ungeliebten Kleider gezwängt und verwünschte sich fast dafür, keine praktischere Kleidung ausgewählt zu haben. Andererseits musste ihr daran gelegen sein, möglichst wenig Aufsehen zu erregen, wenigstens so lange, bis sie Gizeh verlassen und den Hafen von Minieh erreicht hatten.
Auf dem Sonnendeck des Dampfers fanden Sarah und ihre Begleiter eine Aussichtslounge vor, wo es sich trotz der drückenden Hitze gut aushalten ließ. Unter gespannten Segeltüchern, die angenehmen Schatten spendeten, ließen sie sich nieder, bestellten Eiswasser und beobachteten das geschäftige Treiben am Kai. Die Zeit verstrich auf diese Weise schnell, und schon bald wurde das Signal zur Abfahrt gegeben. Stuart Hayden erschien auf dem Sonnendeck und gesellte sich zu den anderen, und gemeinsam schauten sie zu, wie die Leinen gelöst wurden und die Egypt Star vom Ufer ablegte.
Mit der Kraft seines großen Schaufelrades, dessen gleichförmig rauschender Schlag die schwüle Luft erfüllte, stemmte sich das Schiff gegen die Strömung und fuhr in die Mitte des Flusses ein, grauen Dampf aus seinem Schornstein stoßend. Ein letztes Mal erhaschten die Passagiere einen Blick auf die Pyramiden und das sandfarbene Häusermeer Kairos, das von den Hängen des Djebel Mokattam umrahmt wurde. Dann ging es den Fluss hinauf.
Zahllose Boote verkehrten auf dem blauen Band des Nils, deren Segel sich hell und leicht gegen Sand und Himmel abhoben. Palmen und Äcker säumten das westliche Ufer wie eine letzte Verteidigungslinie gegen die triste Ödnis, die sich jenseits davon erstreckte und die das Ziel der Reise war.
»Auf unsere Expedition, meine Teure«, sagte Sir Jeffrey, der sich bei einem der Kellner Scotch bestellt hatte und nun sein Glas feierlich hob. »Möge es uns vergönnt sein zu finden, wonach so viele andere vergeblich gesucht haben.«
»Sehr zum Wohl, Sir Jeffrey«, erwiderte Sarah. »Ich weiß nur nicht, ob wir uns dies wirklich wünschen sollten.«
»Und warum nicht? Wollen Sie das Geheimnis denn nicht ergründen? Haben nicht Sie selbst auf diese Expedition gedrängt?«
»Das stimmt.« Sarah nickte.
»Warum dann plötzlich so zögerlich?«
»Weil ich denke, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal erahnen, worauf wir uns hier wirklich eingelassen haben«, antwortete Sarah in Erinnerung an die Worte des alten Ammon.
»Was wollen Sie?« Der königliche Berater lächelte jovial. »Bislang ist alles gut gegangen, oder nicht?«
»Gut gegangen? Vier junge Frauen wurden in London grausam ermordet, mein Patenonkel wurde entführt, und ein alter Freund von mir wurde hinterrücks erstochen – ich denke nicht, dass alles gut gegangen ist, Sir, wirklich nicht.«
»Nun – ein gewisses Risiko gehört zum Geschäft, oder nicht? Gerade Sie sollten das wissen, Lady Kincaid. Bisweilen sind Verluste eben unvermeidlich…«
»So wie bei meinem Vater?«, fragte Sarah bitter.
»Nein, ich…« Jeffrey Hull errötete. »Verzeihen Sie, Lady Kincaid, ich wollte nicht…«
»Schon gut, Sir Jeffrey, lassen wir es dabei bewenden. Wir wissen alle, dass diese Expedition ein gefährliches Unterfangen ist, und jedem von uns war klar, worauf wir uns einlassen. Die Suche nach dem Buch von Thot hat schon viele Todesopfer gefordert, und es werden noch mehr werden, dessen bin ich sicher. Wir müssen uns vorsehen, denn unsere Feinde können überall lauern – und keiner von uns kann wissen, wer das nächste Opfer ist.«
Sie blickte in die Runde ihrer Gefährten, die sie betroffen anschauten – bis auf Maurice du Gard, der einmal mehr nur in stillem Wissen lächelte.
Am nächsten Tag fanden sich Sarah, Captain Hayden und Inspector Fox zu einer Besprechung in Sir Jeffreys Kabine ein. Auf Sarahs ausdrücklichen Wunsch nahm auch Kamal an der Unterredung teil – schließlich war er der ortskundige Führer, der die Expedition ans Ziel bringen sollte.
»Kairo hätten wir also hinter uns gelassen«, resümierte Sir Jeffrey sichtlich erleichtert. »Ich hoffe doch, wir können davon ausgehen, dass unsere Feinde uns nicht gefolgt sind.«
»Ihr Optimismus in allen Ehren, Sir«, wandte Sarah ein, »aber ich denke, wir sollten dennoch wachsam bleiben. Bislang waren unsere Gegner sehr genau über jeden unserer Schritte informiert.«
»In der Tat«, pflichtete Hayden bei. »Sie wussten sogar von der alten Sternwarte, obwohl Sie es keinem von uns anvertraut hatten. Außer einem, natürlich…«
»Worauf wollen Sie hinaus, Captain?«
»Ist das so schwer zu erraten?
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