Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
anfangen wollte zu sprechen. »Veldan! Hölle und Verdammnis! Was tust du da? Ich mag die Alte ja auch, aber das ist ein ernster Verstoß gegen das Schattenbundgesetz.«
»Das ist mir gleichgültig, Kaz. Toulac ist meine Freundin. Sie hat mir das Leben gerettet. Sie ist vertrauenswürdig, klug und weise, und erfahren in allen Kriegsangelegenheiten. Sie kennt die hiesigen Verhältnisse viel besser als wir. Sie hilft und beschützt uns und verdient es nicht, angelogen zu werden. Außerdem hat sie dich längst gesehen, Kaz. Dass wir nicht gerade aus der näheren Umgebung kommen, hat sie schon lange begriffen. Wir sind sicherer, wenn wir sie einweihen. Und wir sind es ihr schuldig.«
Der Drache seufzte. »Und mich fährst du an, dass, ich keine Probleme heraufbeschwören soll! Also gut. Tu, was du für richtig hältst. Aber denk an meine Worte – das wird eines Tages mit Tränen enden …«
»Ach, sei still, Kaz!« Veldan sah die erwartungsvolle Toulac an. »Ja, du hast Recht. Ich kann dir jetzt nicht alles sagen, aber jenseits dieses Reiches gibt es noch andere Länder, die von allen Arten merkwürdiger Lebewesen bewohnt werden. Einige lassen sogar Kaz als ganz gewöhnlich erscheinen.«
Toulac packte mit ihrer starken, schwieligen Hand Veldan am Handgelenk und griff so feste zu, dass Veldan die Luft wegblieb. »Wirst du mich mitnehmen? Tust du das für mich, Veldan?«
Cergorn wird mich dafür umbringen!
Trotzdem fiel ihr die Entscheidung so leicht wie keine andere. »Ja, Toulac«, antwortete sie entschieden. »Kaz und ich nehmen dich mit. Aber zuerst müssen wir diese Nacht überstehen …«
Ein durchdringender Schrei aus dem angrenzenden Raum schnitt ihr das Wort ab.
Ober dem Heiligen Bezirk lag eine dicke Schneedecke, die jeden Laut dämpfte. Nachdem Felyss schließlich im Bett lag, zog sich die Schmiedin ihren wärmsten Mantel an und stapfte durch den dichter fallenden Schnee zu dem hohen goldenen Tor, das den inneren Bezirk absperrte. Die kalte Luft erfrischte sie, und sie atmete tief ein. Die Verspannung in ihrem Nacken ließ langsam nach. Agella empfand eine große Erleichterung, weil sie eine Weile das Haus verlassen konnte. Die Stimmung dort war erstickend, einfach unerträglich für jemanden, der an das Alleinsein gewöhnt ist. Ihre Schwester benahm sich sehr gereizt und gab nur schnippische Antworten. Agella war es immer schwerer gefallen, Ruhe zu bewahren und die Zunge im Zaum zu halten. Ich kann es ihr nachfühlen, dachte sie. Viora kann ihren Zorn nicht an denen auslassen, die ihn verursacht haben, also muss ein anderer seinen Kopf hinhalten – aber muss ich das unbedingt sein?
Unterwegs wurde der Verdruss über die Schwester von einer anderen Sorge verdrängt. Agella war erschrocken zu sehen, wie der Sturm stetig schlimmer wurde. Sie konnte kaum ein paar Schritte weit durch den wirbelnden Schnee sehen, und er lag bereits knöchelhoch. Ach, Scall!, dachte sie und schämte sich dafür, dass die Ankunft seiner Familie sie ihren armen Lehrling vergessen ließ, den sie in dieses Hundewetter hinausgeschickt hatte. Lieber Myrial, betete sie, lass ihn sicher in Toulacs Haus angekommen sein!
Niemand stand Wache am Tor, obwohl die Vorschrift es verlangte. Offenbar hatte da jemand angesichts des Wetters entschieden, dass ohnehin kein Mensch draußen herumliefe, der die Pflichtverletzung bemerken könnte, und sich an ein warmes Plätzchen zurückgezogen. Typisch, dachte Agella. Sobald der Hauptmann und der Hierarch fort sind, geht es mit der Disziplin steil bergab. Der Wachsoldat muss ganz schön zuversichtlich sein, dass sie in dieser Nacht nicht zurückkehren. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, wenn Blank unerwartet wiederkommt. Was mochte eigentlich im Gange sein? Agella hatte beobachtet, dass am Morgen Pferde für Blank und Zavahl gesattelt wurden. Fergist hatte erzählt, dass sie aus irgendwelchen Gründen ins Gebirge geritten seien. Ein Schauer überlief die Schmiedin. Wenn zwei hohe Herren und zwei Dutzend Krieger Myrials stecken geblieben waren, dann stand es dort oben wirklich schlecht. Agella hätte keinen Pfifferling um die beiden Herren gegeben – frei heraus gesagt, hatte sie von keinem der beiden eine sonderlich hohe Meinung –, aber immer wieder dachte sie an Scall. Hoffentlich war er angekommen, bevor der Sturm richtig losging!
Die Ärzte wohnten in einem eigenen Gebäude hinter dem Haus der Heilung. Dazu gehörte ein friedlicher Garten, in dem viele Kräuter gezogen wurden,
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