Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
antworte mir! Was geht da draußen vor?«
»Nichts, worüber du dir den hübschen kleinen Kopf zerbrechen müsstest, Schatz.« Er klang wirklich unerträglich selbstgefällig.
Veldan schloss vor Bestürzung die Augen. Sie kannte diesen Ton. »Was hast du jetzt wieder getan?«, fragte sie.
»Habe mich nur um zwei Kleinigkeiten gekümmert«, antwortete er glucksend. »Wirklich, Schätzchen – gaaaaar nichts passiert. Gib nur schön auf dich selbst acht. Und wenn du mich brauchst, komme ich zu dir wie ein geölter Blitz. Dann bleibt zwar nicht viel von Toulacs Haus stehen, aber wir müssen alle mal Opfer bringen …«
Die Besserung seiner Laune reichte ins Unermessliche. Kein Gemecker über das Hungerleiden … »Kazairl! Du bist doch nicht hingegangen und hast Toulacs Pferd gefressen, oder etwa doch?«
»Veldan!« Kaz klang zutiefst gekränkt. »Glaubst du, ich bin ein skrupelloses Ungeheuer? Dieses Tier bedeutet Toulac sehr viel. Nachdem sie uns aufgenommen und sich mit uns angefreundet hat, wäre es ein ganz schäbiger Streich, ihr Pferd zu fressen. Wenn ich mir bedenke, dass meine eigene getreue Partnerin, die es wirklich besser wissen sollte, als mir zu unterstellen -«
»Schon gut, schon gut – ich entschuldige mich. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten. Mir ist egal, was du treibst. Aber bringe uns nicht in noch mehr Schwierigkeiten.«
»Ich fühle mich arg verkannt und verleumdet.« Der Drache umgab sich mit gekränkter Unschuld und zog sich zurück.
Als Veldan wieder allein war, überdachte sie die Lage. Ein Wissenshüter überlebt nicht lange, wenn er in Situationen wie dieser keinen Plan zur Hand hat – und sich daran hält. Das ist es, was in letzter Zeit immer schief gelaufen ist. Im Labyrinth der Ak’Zahar haben wir den einzig richtigen Plan beschlossen: Wenn wir entdeckt werden, müssen wir um unser Leben laufen. Wenn Elion sich nur an diesen Plan gehalten hätte, hätte ich die hier jetzt nicht. Sie fuhr sich mit einem Finger über die gezackte Narbe. Das taube Gefühl war abscheulich. Außerdem schmerzte sie bei Kälte und bei Regen, die andere Narbe auf der Schulter ebenfalls. So wie jetzt. Wenn sich nur Melnyth an den Plan gehalten hätte, hätten wir alle unversehrt herauskommen können. Nun ja, das Endergebnis hätte aber auch ganz anders ausfallen können.
Vollkommen anders. Wenn Melnyth die Vampire nicht aufgehalten hätte, wären wir vielleicht alle abgeschlachtet worden. Denk nicht schon wieder darüber nach, Veldan! Es ist zwecklos. Was geschehen ist, ist geschehen. Sie rief sich zur Ordnung, wie sie es schon hundertmal vorher getan hatte. Energisch sperrte sie sich den nutzlosen Mutmaßungen. Aber wie immer blieb ein einzelner Gedanke in ihrem Hinterkopf haften wie ein giftiger Dorn. Wenn doch nur Elion nicht … Unter der Haut pochte die Wunde noch.
Dieses Mal hatte sie sich nur um sich selbst und Kaz zu sorgen – und um Toulac natürlich.
Sie musste die unbeugsame Alte in jedweden Plan mit einbeziehen, obwohl Cergorn solchen Altruismus unter seinen Agenten zu unterbinden suchte. »Ihr Hüter des Wissens seid seltene und kostbare Individuen: telepathisch, kenntnisreich, bestens ausgebildet und schwer zu ersetzen«, pflegte er zu sagen. »Von den Schafen gibt es mehr als genug da draußen in der Welt, und es werden täglich mehr. Helft ihnen, rettet sie und passt auf sie auf, wo immer ihr könnt – aber riskiert niemals euer Leben für sie.«
Zum Teufel mit Cergorn!
Veldans Plan brauchte nicht großartig ausgedacht zu werden. Wie immer lief es auf eines hinaus: kämpfen oder fliehen. Unter diesen Umständen war die Flucht das einzig Richtige, es sei denn sie wollte mit Toulac gegen nahezu dreißig Mann kämpfen – selbst mit Kazairls Hilfe ein aussichtsloses Vorhaben.
Ein schnelles Entkommen könnte also nötig werden. Doch gerade darin tat sich der Feuerdrache hervor. Auch über schwieriges Gelände konnte er sie beide weiter und schneller befördern, als die Soldaten voran kämen –, besonders in solch einer Nacht. Der Schneesturm würde ihre Flucht verbergen – und gleichzeitig die größte Gefahr darstellen. Wozu den Feinden entkommen, wenn man anschließend erfror?
Plötzlich hörte Veldan ein leises Geräusch, das sie warnte. Sie schlüpfte aus dem Bett, kniete sich unter dem Fenster vor die Kommode und raffle mit fliegender Hast ein paar Kleider daraus hervor, die ihr nützlich erschienen, wickelte sie in ein paar Decken und verschnürte das
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