Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Tiere für die kleine Annas schnitzen. Die Arme braucht jetzt jeden Trost, den wir ihr schenken können.«
Bevron zuckte die Achseln. »Natürlich werde ich das tun – aber was ist mit Seriema? Sicher wird die reichste Frau in Callisiora in der Lage sein, Annas viel besseres Spielzeug zu kaufen als ich es machen kann, oder?«
Gilarra seufzte. »Das weiß ich nicht. Ich hoffe nur, dass ich das Richtige getan habe, als ich sie dort ließ. Mir schien es der sicherste Platz zu sein – Seriema besitzt den Reichtum und die Macht, um ein Kind zu schützen –, aber andererseits ist sie kalt wie ein Fisch. Ich fürchte, die kleine Annas könnte bei ihr sehr unglücklich werden …«
Mehr brauchte Thirishri nicht zu hören. Schon fegte sie den Kamin hinauf und aus dem Schornstein heraus, dass Rauch und Funken stoben, und hielt auf das reiche Viertel zu, auf der Suche nach dem vornehmsten Haus der Stadt.
Die Villa der Dame Seriema befand sich am Rand des großen Platzes, auf den der Tunnel hinausging. Thirishri konnte sich die Frau kaum vorstellen – sie hatte sie nur als schmollendes Kind gekannt, das ewig im Schatten des Vaters stand. Wie dem auch sei, wen kümmerte die Frau, solange nur das Kind bei ihr war! Thirishri drehte eine Runde um das Obergeschoss und spähte so gut sie konnte zwischen den Fensterläden hindurch. Im Zimmer eines so kleinen Kindes würde wahrscheinlich die Nacht über ein Licht brennen …
Im vierten Fenster schließlich fand sie, was sie gesucht hatte: Ein kleiner zerzauster dunkler Schopf lugte aus einem Kissenberg hervor. Der Fensterladen, dessen Haken ein wenig lose war, klapperte in dem Luftzug, den Thirishri beim Eindringen verursachte, und das Kind bewegte sich im Schlaf. Gut, es atmete ruhig und gleichmäßig, es schien keinen äußeren Schaden erlitten zu haben, soweit Thirishri sehen konnte. Sie konnte es kaum erwarten, Tormon diese Neuigkeit zu bringen. Wie sehr er sich freuen würde! Im nächsten Augenblick befand sie sich am stürmischen Himmel und beschloss, den Rückweg über den Gebirgspfad zu nehmen. Zwar wäre in einer solchen Nacht niemand unterwegs, aber wenn sie schon einmal draußen war, konnte sie ebenso gut einmal nachsehen. Unterdessen entschied sie sich, mit der guten Nachricht zu warten, bis sie selbst am Unterschlupf anlangte. Es tat ihr Leid, dass sie es Tormon nicht selbst mitteilen durfte, aber zumindest würde sie sein Gesicht sehen, wenn Elion es ihm sagte.
»Myrial in der Klemme! Was war das?«, murmelte Toulac. »Hört sich an, als würden sie ihn umbringen.«
Veldan hatte die Untätigkeit über. Die fatale Neugier eines Wissenshüters gewann die Oberhand. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie, »aber es wird Zeit, dass ich es herausfinde.« Der rasende Verrückte im Nebenzimmer war dabei gewesen, als sie den Drachen ausgegraben hatten. Da musste es eine Verbindung geben, und die galt es in Erfahrung zu bringen, auf die eine oder andere Weise. Aethon war tot – ganz sicher –, aber sie wollte wenigstens mit dem Mann sprechen, der ihn als Letzter lebend gesehen hatte. Sie duckte sich unter Toulacs Hand hinweg, die sie zurückhalten wollte, und schlüpfte aus dem Bett. »Öffne die Tür einen Spalt und halte eine Auge auf den Gang. Warne mich, wenn jemand naht.« Schon saß sie halb auf dem Fensterbrett.
»Komm zurück, du Idiotin! Du bringst dich umsonst in Gefahr! Die Angelegenheiten dieser aufgeblasenen Herren gehen uns nichts an! Wen kümmert es, ob Blank Zavahl umbringt?«
»Mich. Etwas Eigenartiges geht hier vor, und ich werde der Sache auf den Grund gehen.«
Veldan ließ sich über den Fenstersims hinab und unterdrückte einen Schrei, als sie in der Schneewehe einsank. Schön, selbstverständlich ist es verflucht kalt! Was hast du denn anderes erwartet?, schalt sie sich. Sie hielt sich dicht an der Hauswand, wo unglücklicherweise der Schnee am tiefsten war, aber dafür würden ihre Spuren dort am wenigsten auffallen. Sie schlich voran, biss die Zähne zusammen, damit sie nicht vor Kälte klapperten, und duckte sich unter das Nachbarfenster. Dass der Riegel zerbrochen war, wusste sie bereits, denn in den vergangenen Stunden hatte sie nichts weiter zu tun gehabt, als im Bett zu liegen und dem Schlagen des Fensterladens zuzuhören. Sie schob ihn beiseite und hievte sich mühsam über den Sims. Vorsichtig tastete sie mit einem Fuß in die Dunkelheit und entdeckte, dass auch hier eine Truhe unter dem Fenster stand. Leichtfüßig und leise sprang
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