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Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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Stadtteile Thirishri von solcherlei Überlegungen ab. Dort standen hohe schöne Häuser in herrlichen Parks und an großzügig gebauten Prachtstraßen. In jeder Hinsicht lagen sie weit entfernt von aller Armseligkeit. Hier lebte es sich in Reinlichkeit und Luxus.
    Diese verrückten Menschen! Ich werde sie niemals begreifen!, dachte Thirishri. Wie kommt es, dass sie diese Ungleichheit in ihrem Zusammenleben so nötig haben? Es wundert mich nicht, dass sie so kriegerisch sind.
    Schließlich erhoben sich vor ihr die hellgelben Felswände, die den Heiligen Bezirk umgaben. Sie schaute in den finsteren Rachen des Tunnels, der durch den Felsen führte, und nannte ihn verächtlich ein Rattenloch. Dann ließ sie sich vom Wind aufwärts tragen. Vom Gipfel des Berges bot sich ihr eine Aussicht, die nur wenigen Menschen zu sehen vergönnt war. Ganz Tiarond, ihr heiliger und ihr profaner Teil, lag vor ihr ausgebreitet.
    Die Felswand wich mehr als hundert Schritt zurück und fiel zur Klamm hin sanft ab. In den Stein der Festungsmauer hatten Wind und Regen tiefe Spalten eingegraben, die wie eine geheimnisvolle Inschrift anmuteten. Thirishri sah die Schlucht der Heiligen Stadt vor sich, wie sie einst, für Äonen, gewesen war: ein unermesslich tiefer See, wie ein blaues Juwel im Felsgestein.
    Vor ihrem geistigen Auge schimmerte das Wasser und spülte über den Klippenrand und die breiten Felsvorsprünge auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht, hoch über Myrials Basilika, die einstmals Ufer und Buchten gewesen waren. Sie stellte sich den dunklen Grund des Sees vor, hundert Faden tief und mit Wasserpflanzen bewachsen. Wo jetzt die furchterregende Zitadelle samt Skriptorium, dem Haus der Heilung und den anderen, eher profanen Gebäuden der Heiligen Stadt stand, musste seinerzeit eine Insel gewesen sein. Thirishri empfand jedes Mal eine kalte Abscheu, wenn sie in den Schlund des Eingangstunnels blickte, der die Erweiterung eines natürlichen Durchlasses im Gestein war, und versuchte sich vorzustellen, wie eines Tages die Erde gezittert, sich die Verwerfung geöffnet und die freigelassenen Wassermassen sich aus dem Berg ergossen hatten.
    In einer plötzlichen Vorausahnung dachte sie, dass sich in der Schlucht anstelle des einstigen Sees nun etwas anderes angestaut hatte – ein Gemisch heftiger Emotionen. Im Heiligen Bezirk brodelten und schäumten überkommene Rivalitäten und alter Hass, angereichert mit Groll, Verbitterung, Neid, Ehrgeiz und Machtgier. Mit erschreckender Klarheit erkannte sie, dass das Auftauchen des Drachenvolksehers ein ebenso umwälzendes Ereignis darstellte wie seinerzeit das Erdbeben und dass infolge dessen bald – sehr bald – die angestaute Gewalt über die Stadt hereinbrechen würde, wie einst die Wassermassen des Sees ins Tal niedergegangen waren.
    Thirishri ließ sich in den inneren Bezirk hinab und hoffte, irgendetwas für Tormon tun zu können. Da sie ihn gerettet hatte, fühlte sie sich für ihn verantwortlich. Diese Menschen waren so verletzlich, sowohl körperlich als auch geistig. Sie schaute auf die entmutigende Fassade der Zitadelle und wusste, dass der Händler niemals in diese grimmige Festung würde eindringen können, um seine Familie ausfindig zu machen. Ich könnte allerdings selbst hineinwehen und herausfinden, was Tormon wissen möchte. Sollten das Kind und die Frau wie durch ein Wunder noch leben, können wir uns über eine Befreiung Gedanken machen.
    Entschlossen durchflog Thirishri das Tor zur Zitadelle, überquerte den Hof und drang in die Festung selbst ein. Drinnen war es nicht leicht für sie, sich voranzubewegen. Die Luft war unbewegt und muffig, als sei sie seit Jahrhunderten in diesem bedrückenden Steinhaufen eingeschlossen. Das Echo vergangener Qualen schien von den bloßen Wänden widerzuhallen und das Blut unzähliger Opfer im Stein zu versickern. Auch das ist eine dunkle Seite der Menschen, dachte Thirishri, die die Schreckensmale aus alter und jüngster Zeit beklommen machten. Wie können sie solch ein Leben nur aushalten? Sie musste hart gegen die Versuchung ankämpfen, die schwere modrige Luft zu einem Orkan aufzuwirbeln, vor sich her durch die verzweigten Gänge zu jagen und frische Luft hinter sich hereinzulassen, bis dieser abscheuliche Bau ausgelüftet wäre.
    Gnädigerweise fand sie sehr schnell die Wärmespur der vermissten Frau. Sie hatte alle Informationen, die sie zur Identifizierung benötigte, aus Tormons Gedächtnis gesammelt. Kanellas geisterhafte Spur

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