Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
um Hilfe schreist, solltest du bedenken, dass nicht ich es war, der dich gefesselt hat.«
Ungeschickt drehte Zavahl sich zur Seite. Wer immer diese Frau war, sie handelte nicht voreilig, indem sie ihn sofort losband. Er konnte ihre Gestalt auf der Bettkante nicht erkennen, nur so viel, dass sie in ihrer Kleidung nach etwas suchte. »Verdammt«, murmelte sie. »Ich weiß genau, dass ich einen Glimmer eingesteckt habe. Diese vielen Jacken und Hemden sind einfach lästig … aha …«
Es gab einen Klicklaut, und das Gesicht der Frau leuchtete im Dunkeln auf, wurde von unten gespenstisch angestrahlt. Zavahl keuchte und konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Das war die Ausgeburt eines Alptraums: Nicht nur, dass die Schatten ihr Gesicht verzerrten, eine grässliche Narbe auf der linken Gesichtshälfte entstellte ihre Züge.
Zavahl schrak vor dem Anblick zurück und schaute stattdessen auf den leuchtenden Gegenstand in der Hand der Erscheinung. Das Licht war seltsam grünlich, unirdisch, geradezu widernatürlich. Hatte sie etwas mit dem Dämon in seinem Kopf zu tun? »Im Namen Myrials«, hauchte er, »was für eine Kreatur bist du?«
Die folgende Stille glich einem Donnerschlag. »Kreatur?«, wiederholte die Fremde mit schmerzerfüllter Stimme.
Er hörte, wie sie nach Atem rang, es klang wie ein Schluchzen, und blickte ihr ins Gesicht. Gebeugt und zitternd stand sie da. Die Schatten zogen scharfe Linien über ihr Gesicht, das mit einem Mal verhärmt aussah.
Dann sah sie plötzlich auf, und ihr Blick schnitt wie ein Dolch in ihn hinein. »Nimm einfach an, ich wäre ein Alptraum«, sagte sie schließlich, und es lag viel Bitterkeit in ihrer Stimme. »Beantworte meine Fragen, dann schneide ich dich los – ein fairer Handel. Danach bist du auf dich selbst gestellt und von meinem Anblick befreit.«
»Was für Fragen? Wer bist du?«
Ihre Hand schnellte vor und griff ihm ins Haar. Sie zog und drehte es, bis ihm die Tränen in die Augen traten, dann zog sie seinen Kopf ganz nah an ihr Gesicht. »Es geht dich nichts an, wer ich bin. Antworte mir! Was ist auf dem Pass geschehen, als du den Drachen gesehen hast?«
Zavahl stockte der Atem. Sie weiß es! Sie ist tatsächlich ein Dämon! Im selben Moment wurden seine Gedanken wie mit der Faust zerschlagen.
Idiot! Blinder Narr! Hör genau zu, was ich dir sage!
Er hörte es deutlich, wenn auch in seinem Kopf. Doch nicht so, als ob er sich selbst sprechen hörte. Es klang überhaupt nicht menschlich; sondern die Worte hallten vielmehr undeutlich und fließend, wie liebliche Musik, die mit einem Rasseln unterlegt ist. Gleichzeitig flackerten und pulsierten bunte Lichter durch seinen Geist, die erblühten und verblassten, keine Gestalt annahmen und doch mit den Worten verbunden waren.
»Hinaus!«, befahl er mit zusammengebissenen Zähnen. »Dämon! Verschwinde aus meinem Kopf!«
»Was?« Es wurde wieder dunkel, weil die Frau das Licht auf die Bettdecke fallen ließ. Dafür nahm sie Zavahls Gesicht in beide Hände, grub die Fingernägel wie Krallen in seine Wangen und zwang ihn, sie anzusehen. Selbst im Dunkeln konnte er das Feuer in ihren Augen sehen.
»Was ist in deinem Kopf, Mann? Was?«
»Dämonen«, jammerte er.
Ich, sprach es zugleich. Aethon.
Die Frau schüttelte ihn heftig. »Sag’s mir!«
Sag’s ihr. Aethon. Aethon ist hier. Sag’s ihr, sag’s ihr, sag’s ihr, SAG’S IHR!
»Nein! NEIN! Lass mich in Ruhe! HILFEEEE!«
Der Schrei entrang sich Zavahl und war laut genug, um alle Wachen der Welt herbeizurufen. Veldan stieß einen atemlosen Fluch aus und ließ seinen Kopf los wie eine glühende Kohle. Sie ergriff den Glimmer und war mit einem Satz am Fenster und schon halb draußen, als die Tür aufsprang und die Soldaten nur so in den Raum quollen. Von oben hörte man donnernde Schritte, die die Treppe heruntereilten.
»He, du!«, schrie einer. »Bleib stehen, oder ich schieße!«
Veldan stürzte sich kopfüber aus dem Fenster. Der Schnee milderte ihren Aufprall, sie rollte sich ab und aus der Schneewehe heraus und schaffte es wunderbarerweise, auf die Füße zu kommen. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Gestalt – Toulac hoffentlich! – im Nachbarfenster auftauchen. Dann rannte sie im Zickzack auf die nächsten Bäume zu. »Kaz! Schnell!«
»Komme schon!«, hörte sie erleichtert seine Antwort. Armbrustbolzen sausten durch die Luft. Sie verfehlten sie, aber viel zu knapp, um sich freuen zu dürfen, und sie war noch immer in Schussweite. Veldan
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