Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Nur eine Sache machte ihm Sorgen. In einem Zimmer hielt sich jemand auf, wo schon den ganzen Abend ein schwaches Licht brannte, und dort hatte es so um die Zeit herum, als die Köchin so spät in der Küche war, einen Tumult gegeben und lautes Türenschlagen. Das beunruhigte ihn. Wer konnte dieser Bewohner sein? Ein Kranker? Ein Kind? Aber das alte Miststück hatte keine Kinder und war gewiss zu hartherzig, um sich um einen Kranken zu kümmern. Doch das war jetzt unwichtig, wenn es vielleicht auch seine Pläne für den nächsten Tag stören mochte.
Im Haus war es so still, dass Ivar überlegte, ob er es wagen sollte, eine Kerze anzuzünden. Davon würde wohl kaum jemand wach werden; wenn er hingegen noch einmal solchen Lärm veranstaltete, dann wäre sehr wahrscheinlich alles verdorben. Auf dem Tisch fand er einen Kerzenstumpf, der so kurz war, dass ihm gleich nach dem Anzünden das heiße Wachs über die Finger lief. Doch er reichte lange genug, um herauszufinden, wo die Köchin den Hausrat aufbewahrte. Dort zündete er eine neue Kerze an und steckte sich eine weitere in die Tasche, dann setzte er die Erkundung der Küche fort.
Eine fette getigerte Katze, die zweifellos dazu da war, die Nager und Käfer zu vertilgen, von deren Leibesumfang man aber eher darauf schließen konnte, dass sie ein verwöhntes Schoßtier war, blinzelte ihn von ihrem warmen Plätzchen auf dem Kaminvorleger an. Einen Topf mit zähem Haferbrei, in dem die Schöpfkelle aufrecht steckte, hatte man auf dem Herd stehen gelassen. Der Brei war noch lauwarm, und Ivar löffelte ihn begierig gleich aus dem Topf, schlang ihn hastig in sich hinein wie ein verhungerndes Tier. Er aß nicht ganz die Hälfte und war zuversichtlich, dass der Verlust am nächsten Morgen nicht auffallen würde. Dann ging er in die Speisekammer, wo er sich Brot nahm und zornig feststellte, dass Seriema im Gegensatz zu seinesgleichen noch immer mit Mehl versorgt war. Zusätzlich bediente er sich mit einer Scheibe Ziegenkäse, der das Einzige war, was man inzwischen noch bekommen konnte, und mit einem Stück Fleischpastete.
Er verstaute seine Beute in einem kleineren Suppenkessel, um sie besser tragen zu können, und nahm sich aus dem Wasservorrat am Herd einen Krug voll. Dann öffnete er eine Tür neben der Vorratskammer und fand den Weg in den Kohlenkeller. Vorsichtig schlich er die steile Stiege hinab und suchte sich die Stelle, die am weitesten vom Kohlenschacht entfernt und daher die trockenste war. Deswegen hatte man dort das Feuerholz aufgestapelt, und dort machte er es sich bequem, um eine Weile zu ruhen. Und zu warten.
Nun, da er sicher ins Haus gelangt war, hatte er genügend Zeit für ein Schläfchen. Seinen ersten Plan, bei Nacht einzubrechen und die Schlampe schnell in aller Stille zu erledigen, hatte er geändert, nachdem das Große Opfer angekündigt worden war. Die ganze Stadt würde daran teilnehmen, und es würde sehr lange dauern, bis sie alle durch den engen Tunnel hindurch wären, zumal er der einzige Zugang zum Heiligen Bezirk war. Seriemas Personal würde, da es zum gemeinen Volk gehörte, das Haus lange vor ihr verlassen müssen. Dann würde er zuschlagen. Und ihm würde mehr Zeit als genug bleiben, um alles wahr zu machen, was er sich für sie ausgedacht hatte.
Mit der Sorgfalt des Schlachters befühlte die beiden Messer, die sein Werkzeug sein würden: das große schwere, mit dem man das Fleisch schnitt, und das schmale biegsame, das man zum Häuten brauchte. Sie waren beide gut gewetzt. Doch er prüfte sie noch einmal mit erfahrenem Griff. Wie lange kann ein Mensch wohl noch leben, nachdem er gehäutet wurde?, überlegte er träge. Könnte vielleicht ganz reizvoll werden, es herauszufinden. Ein einfacher Knebel wird das Geschrei schon ausreichend dämpfen. Und bevor man sie vermisst, ist die Sache erledigt, und ich bin hier längst weg.
Ivar lächelte im Dunkeln vor sich hin. In den Schlachthäusern hatten sie immer gesagt, er sei ein Meister seiner Kunst.
Ich frage mich, was mit Veldan und Kazairl geschehen ist. Ach, vermutlich schlafen sie schon seit Stunden, und das ist alles, überlegte Thirishri, während sie sich auf dem Rückflug von Tiarond der Sägemühle näherte. Die Mühle stand abseits vom Weg und ein wenig versteckt am Hang eines schmalen Tales, das in ein Waldstück unterhalb der Geröllfelder und Steilwände hinaufführte. Die Gebäude konnte sie nicht sehen, aber sie hatte einen ungehinderten Blick auf ein gutes Stück
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