Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Gesicht, das beileibe nicht das einzige war. »Ach, du großer hüpfender Kugelblitz!«, stieß Elion hervor. »Ich wusste gar nicht, dass Pferde so groß werden können! Wo sollen wir sie unterbringen?«
»Diese Rasse ist zäh und robust«, rief Tormon ihm durch den heulenden Wind zu. »Es ist nicht das erste Mal, dass sie bei Schnee draußen bleiben müssen. Ein Stück weiter unten gibt es einen Felsüberhang, da sind sie ausreichend vor dem Schnee geschützt. Vielleicht können wir ein bisschen Reisig als Windschutz aufstapeln. Wenn du zwei Hand voll Getreide für sie übrig hast, halten sie bis zum Morgen aus.«
Elion fühlte sich versucht zu sagen, er solle sich selbst um sein verdammtes Vieh kümmern, doch dann fügte er sich klaglos der Notwendigkeit, zusätzliche Arbeit in der Kälte verrichten zu müssen. Mitgefühl und Kameradschaft verboten ihm, anders zu handeln. »Dann sollten wir uns beeilen«, rief er; »je eher wir damit fertig werden, desto besser. Wir frieren uns sonst noch den -« Er brach ab, als ein kleiner weiß-brauner Esel angetrabt kam und ihn beinahe über den Haufen rannte. Tormon stieß einen Freudenschrei aus, griff nach den Zügeln und machte ein großes Aufhebens um das kleine Tier. »Sie ist Kanellas Liebling«, begann er zu erläutern – dann überfiel ihn die Wirklichkeit mit voller Wucht. Elion zog sich vor Mitleid das Herz zusammen. Er kannte dieses Gefühl. Für eine kleine Weile vergisst man, dann kommt der Schmerz wie aus dem Nichts zurück und sticht wie ein Messer in der Brust. »Komm, lass uns den Platz für deine Tiere da einrichten«, sagte er mit rauer Stimme, »den Kleinen werden wir wohl noch bei uns unterbringen.«
Elion hatte schon wieder vergessen, dass mit den Tieren ein Begleiter gekommen war. Er konzentrierte sich vollständig darauf, diesen dummen Windschutz zu bauen, damit er selbst möglichst schnell wieder unter ein Dach käme, und half Tormon, einen gespaltenen Kiefernstamm als Stütze aufzurichten, als Thirishri ihn rief. *Elion? Schnell! Der Junge ist gerade an euch vorbeigegangen!*
Pferde, Esel, Jungen … Nahm das denn kein Ende? Elion fluchte leise und ließ den verwirrten Tormon allein im Dunkeln umhertasten. Er hielt den Glimmer in die Höhe und begab sich den Weg hinauf. Eine neue Fußspur führte im Schnee bergauf. »Die Pest soll ihn holen!«, knurrte Elion.
*Er ist noch nicht weit weg*, versicherte Thirishri. *Und er ist sehr erschöpft.*
Elion folgte der ausgetretenen Furche. Klar, der rätselhafte Pferdedieb war vor Erschöpfung wohl nicht mehr ganz bei sich, sonst wäre ihm aufgefallen, dass die Hufspur, die er verfolgt hatte, vom Weg abgewichen war. Elion holte ihn rasch ein. Der Junge war in der Tat erschöpft, bewegte sich nur stumpfsinnig vorwärts und ging fast auf allen Vieren. Gut für dich, Kamerad!, dachte Elion. Du würdest niemals aufgeben.
Er packte ihn beim Kragen, duckte sich und warf ihn sich über die Schulter. Zum Glück hatte er es nicht weit, und der Junge war nur Haut und Knochen, außerdem ging es bergab. In der Hütte legte er ihn auf den Boden und deckte ihn mit zwei Decken zu, dann flößte er ihm etwas Honigwasser ein. Die Flasche mit dem Rest drückte er ihm in die Hand und sagte: »Nimm ab und zu einen kleinen Schluck. Ich komme gleich zurück. Mach dir keine Sorgen – du bist jetzt in Sicherheit.« Das hoffe ich zumindest, dachte er, während er zu Tormon zurückeilte. Wenn er keine gute Erklärung parat haben würde, wie er zu diesen Tieren gekommen war, dann dürfte er sich bald wünschen, er wäre im Sturm erfroren.
Als Scall erwachte, war er vollkommen verwirrt. Er zitterte am ganzen Leib, doch es war sicherlich lange her, dass er draußen im Schneesturm gebibbert hatte. Zuerst hatte er starke Schmerzen gehabt, dann war völlige Gefühllosigkeit gefolgt – dann nichts mehr. Er bemerkte, dass das Geheul des Windes nur gedämpft zu hören war, dann spürte er das angenehme Gewicht einer Decke auf seinem Körper. Vermutlich habe ich doch die Mühle erreicht – aber gäbe es da nicht mehr Decken und ein weicheres Bett? Und würde es dort so streng nach Pferd riechen? Sehen konnte er nichts, aber er hatte überhaupt nicht den Eindruck, in einem Haus zu sein. Na gut, wen kümmerte das? Kein Wind und kein Schnee, das war die Hauptsache. Es gab Decken und etwas Belebendes zu trinken. Und Myrial sei Dank, es waren keine mörderischen Biester mehr in der Nähe, auf die er aufzupassen hätte, keine
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