Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
in Kanellas Weste aus Tiarond wegläuft?*
Elion fuhr zusammen. »Thirishri, lass das sein! Sich an andere Leute heranzuschleichen …«
*Luftgeister schleichen nicht*, unterbrach sie beleidigt.
»Du weißt, was ich meine. Aber egal, ich bin froh, dass du hier bist. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
*Welcher Art?*, fragte sie misstrauisch.
Obwohl Elion nur im Geiste mit ihr sprach, holte er vor seiner Antwort tief Luft. »Ich will nicht, dass du Cergorn etwas erzählst.«
* Was hast du getan? *
Ein Windstoß fuhr in den Unterschlupf, dass Tormon erschrocken aufsprang. »Was war das?«, fragte er.
»Nur eine verirrte Böe, vermutlich«, sagte Elion laut und tat sein Bestes, um unschuldig auszusehen. »Thirishri! Beruhige dich! Du wirst uns die Hütte noch um die Ohren blasen! Ich habe noch gar nichts getan – aber ich will in den Geist dieses Jungen eindringen und herausfinden, was mit Tormons Frau passiert ist.«
*Aber Elion, du weißt, dass uns so etwas verboten ist!*
»Das ist genau der Grund, warum ich nicht will, dass Cergorn davon erfährt. Er würde mir die Haut abziehen und an den Turm der Kundschafter nageln.«
*In der Tat – und zwar, nachdem er dich vorher aus dem Schattenbund ausgeschlossen hätte. Wie kannst du nur so etwas in Erwägung ziehen? Dir den Weg in den Geist eines Nichttelepathen zu erzwingen und darin herumzuwühlen! Das ist gemein und pervers.*
»Aber hör mir doch mal zu, Thirishri«, flehte Elion. »Der Händler muss erfahren, wie es seiner Familie ergangen ist. Und wir müssen wissen, was in der Stadt vorgeht. Je eher wir die Wahrheit kennen, desto besser. Nach dem, wie Tormon den Jungen behandelt hat, ist er viel zu verängstigt und verstört, um zu sprechen. Bitte, lass es mich versuchen«, führ er mit seinem Oberredungsversuch fort, »ich weiß, dass es ihm unangenehm sein wird, aber -«
*Warte!*, unterbrach Thirishri. *Es besteht überhaupt nicht die Notwendigkeit. Ich kann dir das meiste, was du wissen willst, sagen. Zumindest das Wichtigste. Ich konnte die Spur der Familie in Tiarond aufnehmen. Leider ist seine Frau tatsächlich tot, aber, Elion – seine Tochter lebt! Sie -*
»Herr?« Die Stimme des Jungen unterbrach Elions Gedanken. »Herr – ich habe die Pferde nicht gestohlen, ehrlich nicht. Und die Weste habe ich auch nicht gestohlen. Ich weiß, es war falsch, sie anzunehmen, und das tut mir Leid. Bitte, ich will nicht mehr geschlagen werden!«
Elion hörte den Luftgeist lachen. *Schon gut, schon gut. Hier sind keine Schläge mehr nötig, mein Freund. Du scheinst dein Ziel durch Freundlichkeit erreicht zu haben.*
Elion war fast ein wenig enttäuscht. Für einen Telepathen lauerte die Versuchung, in einen ungeschützten Geist einzudringen, immer im Hintergrund. Darum war dergleichen streng verboten. Eben noch hatte er einen nahezu rechtmäßigen Grund gehabt, doch bei näherer Betrachtung, hielt er es doch für besser, dass er an der Ausführung seines Plans gehindert wurde. Wenn diese Tat jemals ans Licht gekommen wäre, hätte Cergorn ihn mit Bestimmtheit aus dem Schattenbund hinausgeworfen.
Nun wusste Elion immerhin, dass Tormons Tochter noch lebte. Das wenigstens war eine gute Nachricht. Konnte der Junge überhaupt etwas über den Tod der Mutter wissen?. Wenn man sich darauf verlassen könnte, dass der Bengel die Wahrheit sagte, wäre alles gleich viel einfacher gewesen. Doch trotz aller Bedenken bemühte Elion sich um ein beruhigendes Lächeln und fragte: »Wie heißt du, Junge?«
»S-Scall«, antwortete der kleine Kerl mit zittriger Stimme. Wegen der geschwollenen Lippen klang er undeutlich.
»Hab keine Angst, Scall. Mein Name ist Elion, und ich werde dir nichts tun.« Er reichte dem Jungen die Wasserflasche, damit er sich das Blut aus dem Mund spülen konnte. »Und jetzt erzähl mir, wie du zu den Pferden gekommen bist, und vor allem, was du über die Frau des Händlers weißt.«
Scall holte tief Luft. Er fühlte sich sehr erleichtert, dass er es dem jungen Mann und nicht dem anderen würde gestehen müssen. Ich werd’s ihm sagen, dann kann er es seinem Freund beibringen. Wahrscheinlich ist es besser, wenn die schlimme Geschichte von einem Dritten etwas abgeschwächt wird. Selbst wenn der Alte jetzt lauscht, ist das noch besser, als wenn er es von mir zu hören kriegt. Scall sah zu ihm hinüber. Der Händler hatte sich zusammengekauert und wirkte todunglücklich. Es ist grausam, ihn im Ungewissen zu lassen, dachte Scall, und dann traf
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