Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
ich hoffe, du mit ihm, Schlange! Zavahl stand schließlich auf. »Seriema, ich bin geehrt durch dein Vertrauen«, – er hielt einen Moment inne, um seinen Sarkasmus wirken zu lassen – »aber ich muss daran erinnern, dass ich nur der Hierarch bin und nicht der Große Myrial selbst, der zweifellos seine eigenen Zwecke damit verfolgt, dass er diesen Regen über unser Volk bringt. Wer wären wir, dass wir beurteilen könnten, was uns so fern ist? Wenn er unsere Treue und Geduld auf die Probe stellt -«
»Du stellst meine Treue und Geduld auf die Probe!«, zischte Seriema mit rotem Gesicht.
»Frau, wie kannst du es wagen!« Zavahl vermochte seinen Zorn nicht länger im Zaum zu halten. »Mäßige deinen Ton, anderenfalls lasse ich die Schwerter Gottes rufen, und du kannst dich in einer Zelle beruhigen. Du vergisst, dass du vor dem Herrscher Callisioras stehst -«
»Und du vergisst, wer dich und deine kostbaren Gottesschwerter an der Macht hält und von wem dein Reichtum stammt! Wir sind es, die ihn aus den Bergen gewinnen!« Seriema verzog verächtlich den Mund, und während sie geradewegs auf Zavahl zuschritt, heftete sie ihren Blick auf ihn und deutete mit dem Finger in sein Gesicht. »Das Bergbaukonsortium hat abgestimmt. Wir erwarten, dass du die Gegebenheiten wiederherstellst. Da alle deine Mittel bisher versagen, fordern wir dich auf, deine Pflicht gegenüber deinen Untertanen zu erfüllen und dich in der Festnacht des Todes dem Großen Opfer zu unterziehen, auf dass du den Gott besänftigst.«
Zavahl gefror das Blut in den Adern. Er hatte es kommen sehen, doch nun war es grausame Wirklichkeit geworden und machte ihn fassungslos. »Und wenn ich es nicht tue?«, fragte er ruhig.
»Als Erstes werden wir das Handelsnetz benutzen, um im ganzen Land zu verbreiten, dass Zavahl der Hierarch ein weinerlicher Feigling ist, der in seinen Pflichten versagt hat. Das Volk von Callisiora wird hierher kommen, zu seinem Heiligtum. Bedenke, dass dieser Ort zwar wehrhaft ist, du aber umso schutzloser sein wirst, denn ich bezweifle, dass die Gottesschwerter dich noch weiter schützen würden. Und wenn doch, würden wir sie aushungern. Wenn es sein muss, zerren wir dich aus der Basilika, wie eine Schnecke aus ihrem Haus und bringen dein Leben dem Gotte dar.« Bevor er noch etwas erwidern konnte, ging sie hinaus. Flugs trat der Diener mit dem Frühstück ein, der höflich vor der Tür gewartet hatte, bis die Auseinandersetzung beendet war, ohne dass ihm auch nur ein Wort entging.
Gegen Morgen war der nächtliche Nieselregen in einen heftigen Schauer übergegangen. Der Wind fegte heulend durch die hohe Felsenschlucht, welche die Heilige Stadt in sich barg, und zerrte an Blanks Mantel. An diesem Morgen lagen die Gebäude des Heiligtums dunkel und verlassen da. Selbst die Zitadelle, Hauptquartier der Krieger Myrials, der Schwerter Gottes, gab sich den Anschein der Verlassenheit. Umso besser, dachte Blank, der sich in ihrem zugigen Torbogen aufhielt. Je weniger schon auf den Beinen waren, desto weniger konnten Zeuge seiner Taten werden. Er gab sich zwanglos, als ob er nur kurz herausgekommen wäre, um frische Luft zu schnappen und einen Blick auf den Himmel zu werfen. Dabei hielt er die Augen begierig auf den Tempeleingang gerichtet.
Seriema verließ die Basilika. Sie hatte die Lippen fest zusammengepresst, und ihren plumpen Gesichtszügen war der Ärger deutlich anzusehen. Blank lächelte, weil ihm der Hierarch bereits die halbe Arbeit abgenommen hatte, und trat aus dem Torbogen. Er spazierte über den Hof, sodass er ihr an der Treppe begegnen musste. »Meine Dame, welch ein Vergnügen, dich wiederzusehen!« Er nahm ihre Hand und beugte den Kopf zum Handkuss, wobei er von unten herauf ihr Gesicht beobachtete.
»Hauptmann Blank!« Sie erwiderte forsch seinen Gruß, doch er bemerkte die schwachen Anzeichen von Verwirrung und eine leichte Rötung der Wangen. Er ließ ihre Hand los und richtete sich lächelnd auf. »Du bist bemerkenswert früh auf, meine Dame. Du hast dem Hierarchen einen Besuch abgestattet?«
Sogleich legte sich ein harter Zug um ihren Mund, und Blank fuhr fort, bevor sie die Pause nutzen konnte, um ihn zurechtzuweisen. »Du magst es mir ruhig gestehen, Seriema«, sagte er sanft, »denn es gibt nur einen Mann im Heiligen Bezirk, der solch ein Stirnrunzeln auf deinem Gesicht hervorrufen kann.«
Sie lachte, und Blank wusste, dass er gewonnen hatte. Er entspannte seine Züge und gestattete sich das Lächeln, das
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