Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Haltung. »Nun, Hauptmann Blank, haben die Wachen dich nicht in Kenntnis gesetzt? Welch ein trauriger Tag, wenn der Anführer der Gottesschwerter sich nicht mehr auf seine Männer verlassen kann!«
»Meine Wachen haben mir einen Haufen blanken Unsinn erzählt, den wohl kein Mann, der bei Verstand ist, glauben kann«, erwiderte Blank schneidend, und mit einem kurzen Seitenblick auf Zavahl fuhr er fort: »Ich wünsche dies nicht zu diskutieren in Gegenwart dieses abergläubischen Pöbels.« Und dann fügte er mit trügerischer Freundlichkeit hinzu: »Doch nebenbei bemerkt, mein Hierarch, warum stehst du hier draußen im Regen und gibst dich mit diesen Leuten ab? Wenn eine so wundersame Kreatur in Callisiora aufgetaucht wäre, hätte Myrial seinen Stellvertreter sicherlich als Ersten davon wissen lassen. Du hast doch für gewöhnlich keine Schwierigkeiten damit, genau herauszufinden, was in unserem Reich vor sich geht.« Blank drehte sich gereizt zu seinen Wachen um und deutete dabei abschätzig auf die Menge, die um den Wagen versammelt war. »Ihr da! Steht nicht herum, ihr Faulenzer! Entfernt diese Gaffer!« Unterdessen besannen sich die so Bezeichneten der eiligen Geschäfte, die sie anderswo zu erledigen hatten.
Blanks spöttische Bemerkung ließ in Zavahl eine heiße Zorneswelle aufsteigen, im nächsten Moment aber wurde ihm kalt vor Angst. Was weiß Blank? Wie viel hat er erraten? Er kann unmöglich wissen, dass mir das Auge nicht antwortet – oder etwa doch?
»Myrial sendet die Botschaften in der ihm eigenen Weise und zu der von ihm gewollten Zeit. Wenn er diesen niedrigen Händler als Boten ausersehen hat, wer wären wir, dass wir uns anmaßen, seinen Willen in Frage zu stellen?«, entgegnete er sanft und sprach hastig weiter, bevor sein Gegner etwas erwidern konnte. »Nun, Blank, im Übrigen kommst du gerade zur rechten Zeit. Ich benötige eine Eskorte, die mich zum Schlangenpass begleitet, wo ich den Ursprung dieses Gerüchts untersuchen werde.«
Und während er so sprach, nahm ein anderer Gedanke in ihm Gestalt an. Wenn er dort wirklich einen Drachen vorfand, konnte er im Volk verbreiten lassen, dass Myrial ihn vor dessen Ankunft gewarnt habe. Damit wäre der um sich greifende Verdacht zerstreut, der Hierarch könnte etwa in Ungnade gefallen sein. Und Blank sollte es eigentlich besser wissen, als ihn öffentlich herauszufordern und damit Unruhe im Volk zu schaffen. Das Schweigen der Gottesschwerter war gewiss, womit es also nur noch auf die Händlerfamilie ankäme. Wenn diese Leute nun den Ruhm für sich beanspruchten, den Drachen gefunden zu haben, wäre der Plan vereitelt … »Noch eins«, sagte Zavahl rasch, bevor Blank sich entfernen konnte, »während meiner Abwesenheit möchte ich die Frau und das Kind deiner Gastlichkeit empfehlen – in der Zitadelle.«
Dieses eine Mal wenigstens machte der sonst so kaltblütige Blank ein erschrockenes Gesicht. Er zog Zavahl außer Hörweite der Leute. »Du verlangst, dass ich sie einsperre? Unter welcher Anklage? Es gibt kein Gesetz in dieser Stadt, das es verbieten würde, einen Haufen Lügen über Fabelwesen zu verbreiten.«
»Selbstverständlich sollen sie nicht wegen eines Verbrechens eingesperrt werden«, zischte Zavahl durch die Zähne. »Aber fürs Erste will ich sie sicher in meiner Hand wissen, während ich mir von dem Mann den Fund zeigen lasse, und die Zitadelle ist der beste Ort dafür. Es wird sich noch herausstellen, ob sie Lügen verbreiten. Jedenfalls werde ich der Ursache – sei sie nun eine Täuschung oder ein Wunder – auf den Grund gehen, und so lange will ich nicht, dass einer von ihnen verschwindet. Auch möchte ich nicht, dass sie alles in der Stadt herumtratschen.«
»Nicht bevor du deine Version der Wahrheit verbreiten konntest, meinst du wohl.«
»Ich bin der Hierarch!« Zavahl spuckte ihm die Worte vor die Füße. Ich entscheide, was in Callisiora die Wahrheit ist. Er fuhr erschrocken zusammen, denn fast wäre ihm dieser Satz wirklich entschlüpft. Mit einiger Anstrengung gewann er die Fassung wieder und sagte laut: »Die Entscheidung liegt bei mir.«
»Nicht mehr lange«, erwiderte Blank gleichmütig, doch mit steinerner Miene. »Du bist ein Narr, Zavahl. Was auch geschieht, du begehst einen Fehler. Wenn du sie wirklich zum Schweigen bringen willst, musst du sie töten lassen.«
»Dann sorge dafür«, verfügte Zavahl kalt.
Blank sah ihn lange prüfend an, dann nickte er. »Wie du befiehlst, Hierarch«, sagte er und
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