Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
entfernte sich mit stolzen Schritten.
Zavahl lief es kalt den Rücken herunter. Vielleicht hatte er wirklich einen schlimmen Fehler begangen. Na und?, sagte er sich sogleich. Ich bin der Hierarch – was kann Blank mir anhaben? Und er weigerte sich, Blank das letzte Wort zu lassen. »Hauptmann Blank?«, rief er. Der Krieger Myrials fuhr herum und verriet durchaus seinen Ärger darüber, dass er so gebieterisch zurückgerufen wurde. Zavahl lächelte. »Noch eins«, sagte er leise. »Schaffe diesen verdammten Zirkus von meinem Hof und gib dem Stallmeister Nachricht. Er soll sich gut um diese Pferde kümmern und sie mit äußerster Sorgfalt behandeln. Noch bevor dieser Tag zu Ende geht, werden sie mir gehören.«
»Nein, Zavahl. Wenn der Tag endet, werden sie mir gehören.«
Gilarra erschrak, als sie plötzlich so nah jemanden sprechen hörte. Sie drehte sich um und entdeckte Hauptmann Blank, der nur ein paar Schritte entfernt stand und das prächtige Paar Pferde begehrlich ansah. Dies war die erste Gefühlsregung, die sie bei ihm entdeckte. »Verzeihung, sprachst du mit mir?«, fragte sie.
Er sah sie unfreundlich an und schüttelte den Kopf. »Nein, meine Dame. Ich habe nur laut gedacht. Wenn du mich jetzt entschuldigen wolltest …« Und damit entfernte er sich schleunigst.
Gilarra zuckte mit den Schultern und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Zavahl, den sie bekümmert dabei beobachtet hatte, wie er die Reisevorbereitungen überwachte. Die unausweichliche Wartezeit, bis die Eskorte bereitstand und Wagen und Tiere der Händler untergebracht waren, reizte seine Geduld. Auf Blanks Befehl wurde der Wagen in die Remise gestellt und die Tiere in den Ställen am anderen Ende des Heiligen Bezirks in der Nähe des Zugangstunnels untergebracht. Während die Zeit verstrich, sah Gilarra den Hierarchen zunehmend unruhig werden. Er konnte nicht still dabeistehen, sondern schritt im Hof auf und ab, den Blick nach innen gerichtet, das Gesicht blass und angespannt. Aber jeden, der ihm in die Quere kam, knurrte er an wie ein Kettenhund.
Armer Zavahl, dachte Gilarra. Er ist am Ende. Ich hätte ihm diese alberne Sache mit dem Drachen nicht erzählen dürfen. Es war geradezu grausam, seine Hoffnung noch einmal anzufachen. Stattdessen hätte ich ihm helfen müssen, dass er sich seiner Verantwortung stellt und sein Schicksal annimmt. Am Ende wird es doch dazu kommen. Zavahl ist für das Opferfeuer bestimmt. Ganz gleich wie hoffnungsvoll er sich an dieses verrückte Gerücht klammert, er kann seinem Schicksal nicht entgehen.
Das war die finstere Seite dieses Amtes, der Widerpart von Allmacht und Herrschaft. Wenn es auch nur einer von hundert Hierarchen sein mochte, der sein Leben für das Land geben musste, das er regierte, so gab es doch weder Einspruch noch Entrinnen, wenn das Schlimmste eintreffen sollte. Gilarra fröstelte. Wie nahe ich diesem Schicksal war! Immer habe ich Zavahl um seine Stellung beneidet – bis heute. Und jetzt möchte ich um keinen Preis in seinen Schuhen stecken, nicht für alle Edelsteine in diesem grauenhaften Berg. Wer weiß, wie ich dieser Bestimmung entgegensehen würde, wenn unsere Rollen vertauscht worden wären und ich morgen sterben müsste?
Sie konnte es nicht mehr ertragen, ihn anzusehen, und wandte sich ab. Sie wollte in den Tempel gehen und für seine gequälte Seele beten. Doch Blank kehrte soeben zurück und trat auf sie zu. »Hochverehrte Suffraganin.« Er verneigte sich respektvoll. »Ich komme um zu fragen, ob du bereit bist, das Amt zu übernehmen.«
Während der vergangenen Monate hatte alles auf diesen Augenblick hingedeutet, und jetzt war er da. Die Schlichtheit seiner Worte ließ die enthaltene Grausamkeit umso deutlicher zu Tage treten. Gilarra war erschüttert. Während meines ganzen Lebens habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet. Ich habe geglaubt, dass ich bereit sein würde …
Mit Mühe ordnete die Suffraganin ihre Gedanken. »Du glaubst also genau wie ich, dass diese Drachengeschichte Unsinn ist?«
Blank zuckte mit den Schultern. »Ob der Drache eine Tatsache oder eine Lüge, tot oder lebendig ist, er wird nicht ausreichen, um das Volk von Tiarond zu beschwichtigen. Es verlangt, dass der Hierarch morgen Abend geopfert wird – tatsächlich sind alle davon überzeugt, dass ihr zukünftiges Leben von seinem Hinscheiden abhängt.« Er lächelte düster. »Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht enttäuscht werden, Suffraganin.«
Eine
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