Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
geschickt, dass sie an seiner Stelle geopfert werde. Nicht nur, dass das Tier tot ist, es ist sogar im gleichen Augenblick verendet, als der Hierarch seine Hand darauf legte. Die Botschaft könnte nicht deutlicher sein: Myrial wendet sich gegen den Hierarchen und daher auch gegen sein Volk. Morgen wird Zavahl für Callisiora den letzten Schritt gehen. Er muss das Große Opfer werden, damit Myrial wieder freundlich auf uns herabblickt.«
Nach einem abschätzigen Blick auf den Mann, der da am Boden lag, wandte er sich ab. »Fesselt ihn. Bindet ihn auf sein Pferd, und dann machen wir, dass wir fortkommen, eh der verfluchte Sturm noch schlimmer wird. Wenn wir nicht bald aus dem Gebirge heraus sind, gelangen wir nirgendwo mehr hin.«
Thirishri achtete kaum noch auf die Menschen. Sie trauerte, denn unterdessen hatte sie festgestellt, dass Aethon wie befürchtet tot war. Als sie sich unsichtbar in den Sturm erhob, erreichte sie Elions telepathischer Ruf. »Thirishri? Ist alles gut?«
*Nein, Elion – es könnte nicht schlimmer sein. Wo bist du?*
»Gleich am Kamm. Ich bin fast krepiert, bei diesem verdammten Aufstieg, und obwohl ich das Pferd geführt habe, geht es praktisch auf den Knien. Ich musste das blöde Biest Schritt für Schritt den Weg hinauf ziehen, und jetzt sind wir mitten in dem schönsten Schneesturm, den die Welt je gesehen hat. Das Wetter hier oben ist scheußlich – ich sollte vielleicht besser auf die andere Seite gelangen, bevor der Pass ganz zugeschneit ist. Die Vorsehung allein weiß, ob wir noch vor dem Frühling wieder nach Hause kommen. Ich komme zu dir, so schnell ich kann. Was zum Teufel hatte übrigens dieser Donnerschlag zu bedeuten?«
*Nichts Wichtiges, Elion. Hör zu – ich habe Aethon gefunden.*
»Was? Wo? Ist er noch am Leben? Was ist mit den anderen?«
*Sie sind nicht hier. Ich habe ein paar Spuren gefunden, die bergab führen. Sie sind einen Tag alt. Einige stammen von Menschen, aber mehr kann ich nicht sagen, bevor ich die Gelegenheit hatte, sie näher zu untersuchen. Eines ist jedenfalls sicher: Wo auch immer wir Kaz finden, Veldan wird …*
In dem Augenblick wurde ihre Aufmerksamkeit von den aufbrechenden Soldaten abgelenkt, die ihren bewusstlosen Kameraden gefesselt und auf ein Pferd gehievt hatten. »Vorwärts!«, hörte sie den Anführer rufen. »Der verdammte Weg wird binnen kurzem unpassierbar sein.«
»Thirishri? Was ist geschehen?«, fragte Elion drängend. »Ist der Seher tot?«
Thirishri fuhr noch einmal herab, um den Drachen zu berühren. Aethon war steif und kalt, seine Aura nicht mehr zu spüren. *Ja, Elion – der Seher des Drachenvolkes hat seinen letzten Atemzug getan.*
Es folgte ein langes Schweigen, bevor der Wissenshüter antwortete. »Oh, schwärende Verdammnis!«, knurrte er.
Wenn die Suche nach Veldan und Kazairl nicht gewesen wäre, hätte Thirishri ihren Partner zurückschicken können, bevor es dafür zu spät war, und sie hätten Gendival noch vor dem Wintereinbruch erreicht. Aber es war ihre Pflicht, die Vermissten zu suchen und zu retten. Also gab es keine Möglichkeit, jetzt noch nach Hause zu kommen. Schwärende Verdammnis! Sie selbst hätte es nicht besser ausdrücken können.
Agella blickte von dem Schwert auf, das sie behämmerte, und brüllte: »Weiterpumpen!« Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ihr Lehrling aus seinem Tagtraum aufschreckte. Der schnaufende Rhythmus des Blasebalgs legte an Tempo zu, und das lodernde Herz der Esse schwoll noch einmal an. Vorsichtig legte die Schmiedin die Klinge zurück ins Feuer und beobachtete mit pedantischer Aufmerksamkeit, wie sie zu glühen begann. Dann nutzte sie die Pause, um den Jungen zu schelten, was immer es auch nützen mochte. »Scall, wie oft habe ich dir das schon gesagt? Die Arbeit eines Schmieds steht und fällt mit seiner Aufmerksamkeit. Der rechte Zeitpunkt ist das Wichtigste in diesem Beruf. Du musst sehr schnell und sehr genau arbeiten, solange das Eisen die richtige Hitze hat …«
In eben diesem Moment erlangte das Eisen die richtige Hitze, und Agella, die kein einziges Mal den Blick von dem glühenden Herd abgewandt hatte, nahm das Schwert mit den Zangen heraus und legte es zurück auf den Amboss, wo sie es unter geschickten Drehungen der Handgelenke mit dem Hammer bearbeitete. Es hat keinen Zweck, sagte sie sich. Aus dem wird in tausend Jahren noch kein Schmied. Wenn der Dämlack nicht der Sohn meiner Schwester wäre, dann säße er rascher, als er gucken könnte, mit seinem
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