Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
bist.«
»Mag kein Bier, Tante Agella«, murrte Scall, ohne vom Boden aufzublicken.
»Dann wird es höchste Zeit, dass du dir angewöhnst, es zu mögen! Sei nicht so ein schwächlicher Junge! Hol uns zwei Bier – für jeden eins –, und dann setzen wir uns ruhig hin und beraten uns über deine Zukunft.«
Endlich hob Scall den Blick, und Agella sah die nackte Angst in seinen Augen. »Schon gut«, sagte sie freundlich, »ich werde dich nicht im Stich lassen – und ich mache dir auch keine Vorwürfe, sei nicht bange. Aber wir sollten der Tatsache ins Auge blicken, je eher desto besser: Du taugst nicht zum Schmied. Mach nicht so ein elendes Gesicht!« Sie klopfte ihm auf die Schulter mit ihrer großen sommersprossigen Hand. »Lauf jetzt und hol das Bier, dann werden wir darüber nachdenken und uns überlegen, was du wirklich kannst.«
Er war schon fast zur Tür hinaus, da erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. Etwas an dem Jungen war anders … »Scall«, rief sie, »deine Weste ist viel zu schade, als dass du sie in der Schmiede bei diesem Funkenflug tragen solltest. Woher hast du sie?«
Als er sich umdrehte, stieg ihm die Röte ins Gesicht. »Äh – einer der Gottesschwerter hat sie mir gegeben, Meisterin. Sie ist ihm zu klein, hat er gesagt.«
Agella schaute ihn ernst an. »Es wäre besser für dich, mir die Wahrheit zu sagen.«
Er sah sie aus großen Augen unschuldig an. »Aber das ist die Wahrheit, Meisterin. Ehrlich. Jedes einzelne Wort ist wahr.«
Plötzlich war sich die Schmiedin nicht mehr sicher, ob sie etwas Genaueres wissen wollte. »Also dann raus mit dir, und trödle nicht mit dem Bier!«
Scall rannte aus der Schmiede und in den tiefer gelegenen Teil des Heiligen Bezirks, wo sich nach Westen hin die Wohnungen der Tempelhandwerker befanden, und auf östlicher Seite die Werkstätten. Der Platz lag öde und verlassen da, niemand saß auf den Bänken beim Brunnen, die Blumen waren längst im Regen verfault, die Bäume kahl.
Seinen ersten Fehler bemerkte er gleich, als er an die kalte Luft kam. Er hatte vergessen, sich den Mantel überzuziehen, und nach der glühenden Hitze am Herd schnitt ihm die Kälte ins Fleisch. Den zweiten Fehler beging er, als er mitten über den Rasen lief, weil das der kürzeste Weg zum Brauhaus war.
»He! Runter da, du blöder Kerl! Der Rasen hat es ohne dich schon schwer genug.«
Scall blieb stehen und schaute auf seine schlammigen Stiefel hinunter, dann über die Schulter auf die Spur seiner Tritte, die er in dem aufgeweichten Boden hinterlassen hatte, und dann in das ärgerliche Gesicht des Gärtners. Die Schamröte brannte auf Scalls kalten Wangen. »Tschuldigung«, murmelte er. »Hab nicht dran gedacht …« Selbst für seine eigenen Ohren klang das erbärmlich.
»Das ist ja gerade das Elend hier. Niemand denkt. Schon gar nicht ihr verdammten Stifte. Ihr trampelt einfach, ohne zu gucken, über die Saat oder auf dem Rasen, euch ist das gleich. Und wir Alten schuften von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und biegen alles wieder hin, bevor der Hierarch die Bescherung sieht.« Er drohte Scall mit dem Finger. »Du bist doch der Junge von Meisterin Agella, stimmt’s? Ich werde mit ihr ein paar Worte wechseln, dann wirst du schon sehen …« Und damit stapfte er, zornig vor sich hin murmelnd, davon.
Scall kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Warum konnte er niemals etwas richtig machen? Er war nämlich gar nicht dumm. Die alte Priesterin, die neben der ehemaligen Schneiderei seiner Eltern wohnte und ihren Lebensunterhalt als Schreiberin für die Ungebildeten verdiente, hatte ihm ein paar Buchstaben beigebracht und ihn einen verständigen jungen Mann genannt. Warum also wollte es scheinen, als könne ihm nichts gelingen? Sicher ging es hart zu in der Welt, und man musste arbeiten, um sein Brot zu verdienen. Je stärker er sich aber bemühte, desto verstörter wurde er, und umso mehr Fehler unterliefen ihm. Selbst jetzt, wie ihm plötzlich bewusst wurde. Weil er sich zuallererst beeilen wollte, war er an den übellaunigen Gärtner geraten, was ihn so verstört hatte, dass er sich nun mit dem Bier verspäten würde und dafür neue Schelte bekäme. Scall seufzte. Schon wieder ein Tag, wo ihm nichts gelingen wollte. Er rieb sich mit dem Handrücken über die Lider und setzte seinen Weg über den Rasen fort, wobei er versuchte, so sachte wie möglich aufzutreten. Dann rannte er, so schnell er konnte, zum Brauhaus.
Für Scall war das Brauhaus ein geheimnisumwitterter
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