Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
beim besten Abrichter, den es gibt – und wenn er eines Tages hierher zurückkommt, wird er dir sehr nützlich sein.«
Fergist nickte. »Du hast Recht. Es klingt wie die ideale Lösung.«
Scall blieb der Mund offen stehen. Da hatten sie doch glatt, ohne auch nur zu fragen, seine ganze Zukunft umgestaltet! Agella drehte sich zu ihm um und sagte mit ihrer nüchternsten Stimme: »Scall, wir haben Arbeit für dich. Ich will, dass du die beiden Sefrianer aus der Stadt bringst, und zwar zu Meisterin Toulac in die Sägemühle. Wenn ihr euch vertragt, sollst du bei ihr bleiben und alles lernen, was sie dir beibringen kann. Sie ist eine Abrichterin, wie du keine zweite findest, und du kannst bei ihr dein Glück machen. Was sagst du dazu?«
Eigentlich ließ sie ihm keine Wahl, das wusste er sehr gut. Die zarte Hoffnung auf Erfolg bei Maryll schmolz dahin wie Frühjahrsschnee. Ich will verdammt noch mal nicht mit einer verrückten alten Frau zusammen in den Bergen festsitzen!, dachte er, wagte aber nicht, es laut zu sagen. Doch sein Schweigen war beredt.
»Das ist für dich die beste Gelegenheit, um die schwarzen Pferde zu retten«, stellte der Stallmeister heraus.
Scall seufzte. Er hätte gern gefragt, warum seine Mutter Meisterin Toulac nicht leiden mochte, doch das getraute er sich nicht. Jetzt, in diesem Moment, konnte er noch mit Würde einlenken. Es war klar, dass ihm das auf lange Sicht Ärger ersparen würde. Meisterin Agella nahm es nicht gerade freundlich auf, wenn man ihr nicht gehorchte, und außerdem brachte es unweigerlich Unglück. Ein Jammer, dachte er sauer, dass Lehrjungen nicht dieselbe Wirkung erzielen. Aber hatte er denn eine bessere Zukunft zu erwarten? Er saß in der Falle. Die Wahrheit konnte er nicht sagen – dass er mit Pferden überhaupt nicht umzugehen wusste und dass alles nur so gekommen war, weil er das gestohlene Kleidungsstück der Pferdebesitzerin trug. Es gab keinen Ausweg. Wahrscheinlich war das seine Strafe.
»Also gut«, antwortete er seufzend, »ich gehe.«
»Pferdegulasch«, murrte Elion, »Pferdeleber, Pferdeeintopf, Pferdesteak …« Das Pferd sah ihn mit der ihm eigenen stummen Unverschämtheit von der Seite an, rollte die Lippen über die großen gelben Zähne zurück und versuchte ihn zu beißen. Fluchend riss Elion den Arm zurück, und die Zähne, groß und viereckig wie Grabsteine, schnappten klackend ins Leere.
Seit sie Gendival verlassen hatten, war das Tier die personifizierte Widerspenstigkeit mit einem Schwanz und vier Beinen dran – ganz zu schweigen von den böswilligen Zähnen, die sich so gern einen Bissen von Elions Fleisch verschafft hätten.
Der Wissenshüter nahm, indem auch er die Zähne zusammenbiss, entschlossen das Zaumzeug und zog so kräftig er konnte, doch da hätte er es ebenso gut gleich mit dem ganzen Gebirge versuchen können. Unter seinen Stiefeln hatte sich der Schnee mittlerweile in eine Rutschbahn verwandelt, sodass er beim Ziehen nicht genügend Halt finden konnte. Elion fluchte in einem fort. Das war einfach nicht gerecht, dass er gezwungen war, dieses Mistvieh jeden verdammten Zoll den Berg hinaufzuzerren, und gleichzeitig zu wissen, dass hinter dem Pass eine Katastrophe auf ihn wartete und Schnelligkeit entscheidend war. Jetzt hatten sie es endlich bis oben geschafft, Elion zitterte vor Erschöpfung, und seine Beine fühlten sich an, als stünde er im Feuer. Ausgerechnet jetzt musste diesem miesen, übellaunigen, unansehnlichen Sack Knochen einfallen, dass ihm der Anblick des Wassers nicht behagte, das über den Weg hinabschoss, und weigerte sich weiterzugehen. Die Augenbinde hatte nichts genützt. Schlagen hatte nichts genützt. Die Lage erschien aussichtslos.
*Elion? Was im Namen alles Lebendigen hält dich auf?*, fragte Thirishri ärgerlich. *Die Männer sind endlich fort, und ich brauche deine Hilfe. Der eine, den ich gerettet habe, rührt sich schon – was, wenn er aufwacht? Wir wollen doch nicht, dass er in den Schneesturm verschwindet, ohne dass wir mit ihm sprechen konnten.*
»Ich tue was ich kann!« Eine gewisse Ungeduld war Elions anzumerken. »Ich benötige deine Hilfe, Thirishri. Dieses sture Knochengestell verweigert sich.«
*Also gut. Ich bin schon unterwegs.* Und Elion konnte den Windgeist den ganzen Weg hinauf seufzen hören.
Ein paar Augenblicke später fühlte er einen warmen Lufthauch im Gesicht. *Hier bin ich.*
Elion fühlte sich erleichtert, überraschenderweise auch getröstet. Und das brachte ihn in
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