Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
sollten mal darüber sprechen, du und ich. Aber zunächst einmal: Meinst du, du könntest den Burschen wieder sicher in den Stall bringen?«
Scall gab dem Pferd noch einen Klaps und ließ es mit der Futterkrippe allein, in die es tief das Maul steckte. »Ich glaube, jetzt geht es ihm gut«, berichtete er dem Stallmeister und schlüpfte rasch aus dem neuen Stall, in dem nun beide Tiere, der Hengst und der Wallach, untergebracht waren, weil sich herausgestellt hatte, dass sie sich dann wohler fühlten. Zwischenzeitlich hatte sich die Geschichte von dem Menschentöter im Heiligen Bezirk wie ein Lauffeuer herumgesprochen, sodass einige Neugierige sich vor den Ställen versammelt und beobachtet hatten, wie der untaugliche Schmiedelehrling die Bestie in die Box zurückbrachte und fütterte. Doch jetzt scheuchte der Stallmeister sie ungeduldig fort. »Geht weiter, Leute! Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Ihr macht mir nur die Pferde scheu. Habt ihr nichts zu tun?«
»Soll das Scheusal denn nicht getötet werden?«, rief jemand. »Es hat einen Mann umgebracht, bei Myrial! Niemand wird mehr sicher sein, solange es noch lebt.« Sogleich erhob sich ein Chor zu seiner Unterstützung.
Fergist bedachte die Menge so lange mit einem kühlen Blick, wie Agella brauchte, um ein Eisen zu schmieden, und wartete, bis alle still geworden waren. »Es ist nicht meine Sache, darüber zu bestimmen – und eure auch nicht«, hielt er ihnen entgegen. »Sie gehören einer seltenen und kostbaren Rasse an, und sie gehören dem Hierarchen. Die Entscheidung liegt allein bei ihm. Wir müssen auf seine Rückkehr warten. Hauptmann Blank hat mir sehr eindringlich aufgetragen, den beiden Tieren alle erdenkliche Pflege zukommen zu lassen. Wollt ihr die Angelegenheit vielleicht mit ihm persönlich erörtern?« Der Gedanke an Blank schien die Gemüter abzukühlen. Denn sogleich machten sie sich fort, wenn auch unter unzufriedenem Gemurmel.
Scall sah ihnen verdrossen nach. Zwar hatte das Pferd einen Mann getötet, aber ihm gegenüber war es zutraulich, und er war schon ganz vernarrt in das wunderschöne Tier. Er hatte die grausamen Striemen gesehen. Man würde ihm doch sicher zugute halten, dass es gequält worden war? Am Ende des Hauptgangs sah er einen Stallgehilfen mit Eimer und Wischlappen, der das Blut vom Boden aufwusch. Das Blut eines Menschen, der vor einer Stunde noch gelebt hatte. Scall sah schnell woanders hin und wandte sich an den Stallmeister. »Meister Fergist? Das Pferd, das Dalvis getötet hat – was wird nun wirklich mit ihm geschehen?«
Fergist machte ein ernstes Gesicht. »Wie ich gesagt habe, Junge: Das wird der Hierarch entscheiden.«
»Aber was wirst du ihm sagen?«, drängte Scall. »Er wird darauf hören, was du sagst.«
»Scall«, mischte sich Agella bestimmt ein, »der Stallmeister und ich gehen jetzt zur Schmiede, wir haben ein Wort miteinander zu reden.« Ihr Gesicht war für gewöhnlich von der Arbeit über dem Feuer gerötet, doch jetzt sah sie ganz blass aus. »Wie wäre es, wenn du uns noch etwas Bier holen würdest?«
»Aber …«
»Nun mach schon, Scall! Und du brauchst dich nicht zu beeilen.« Scall starrte sie einen Augenblick lang an, dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging mit einem Seufzer in Richtung Brauhaus davon. Alles war wieder beim Alten. Während eines flüchtigen Zeitraums war er ein Held gewesen – aber nichts hatte sich wirklich geändert. Und außerdem, sagte er sich, weiß niemand, warum mir der Hengst gehorcht hat. Ich trage ihre Weste mit ihrem Geruch. Kein Wunder, dass er sofort zu mir gekommen ist! Aber wie sollte ich ihnen das erklären? Ich könnte doch niemals hingehen und einfach zugeben, dass ich die Weste einer Toten angenommen habe, noch dazu dafür, dass ich Agellas geheiligte Auftragsliste abändere.
Unterdessen merkte er nicht, dass er den morastigen Rasen gemieden hatte, und er trat sich auch ganz selbstverständlich die Füße ab, als er das Brauhaus betrat. Stattdessen bemerkte er allerdings, dass Maryll sich plötzlich sehr deutlich für ihn interessierte. Bevor sie ihn mit dem Bier entließ, wollte sie von ihm jede Einzelheit seiner Begegnung mit der Bestie hören. Scall genoss die Aufmerksamkeit so sehr, dass er überhaupt keine Eile hatte, wieder zu gehen. Und so dauerte es eine Weile, bis ihm seine kalten, schmerzenden Arme sagten, dass er Agellas Bier an sich gedrückt hielt und es schon vor einiger Zeit hätte abliefern sollen. »Maryll, tut mir Leid«,
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