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Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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die alte Kriegerin mit der flinken Tüchtigkeit jahrelanger Übung, und es war kaum Zeit vergangen, bis sie mit den Waffen fertig war und die Aufmerksamkeit der Lederkleidung zuwandte. Sie fuhr mit der Hand in eine der Taschen und stieß auf einen fremdartigen Gegenstand, eine hühnereigroße Kugel aus milchigem Glas. Eine schmale Rille zeigte an, wo die beiden Hälften zusammenkamen. Toulac überkam der Drang, die Hälften gegeneinander zu drehen und zu sehen, was geschehen würde, doch sie beherrschte sich energisch. Das könnte mir eine sehr hässliche Überraschung einbringen, dachte sie. Der Feuerdrache in der Scheune war ihr Beweis genug, dass sie keine gewöhnlichen Gäste beherbergte, also mochte die persönliche Habe der Frau ähnlich seltsam sein. »Egal, ob gefährlich oder nicht«, sagte sie sich mit Bestimmtheit, »sie wird es mir kaum danken, wenn ich meine Nase in ihre Sachen gesteckt habe. Und wenn es mir zerbricht, was immer es sein soll? Misch dich nicht ein! Steck es weg!«
    Sie versuchte die geheimnisvolle Kugel in die Jackentasche zurückzustecken, wo sie hergekommen war – aber das Ding wollte nicht mehr hineinpassen. Sie fasste in die Tasche, zog ein schwarzes Stück Stoff heraus und faltete es auseinander. »Was um alles in der Welt …?« Sie glättete die Seide mit ihren schwieligen Fingern, dann sah sie die beiden Löcher – und ihr zog sich vor Mitleid das Herz zusammen. Dieses arme, törichte Kind war so befangen wegen der Narbe, dass sie sich so weit erniedrigt hatte, ihr Gesicht mit diesem dämlichen Ding zu verbergen! Die Kriegerin wischte sich verstohlen eine Träne fort und ermahnte sich, nicht rührselig zu werden. »Wenn man’s genau nimmt, was kann sie mir schon bedeuten?«, murmelte sie. »Wenn ich so weitermache, wird bald jeder denken, dass sie meine Tochter ist! Ob Tochter oder nicht – mit diesem Unsinn hat es ein Ende.« Toulac konnte es keinesfalls zulassen, dass sich das arme Mädchen für den Rest seines Lebens für sein Gesicht schämte. Kurzerhand ließ sie die Glaskugel in der Tasche verschwinden, legte die Lederjacke beiseite und erhob sich forsch und zielstrebig von ihrem Stuhl. Ungestüm schleuderte sie die Maske ins Feuer und benutzte den Schürhaken, um sie recht tief zwischen die Kohlen zu schieben. »So!«, sagte sie und sah zu, wie die Seide sich kräuselte und verschwand. »Das ist genau das Richtige für solchen Unsinn.« Und dabei hoffte sie, dass Veldan ihr verzeihen würde.
     
    Scall schwang sich das kleine Bündel über die Schulter, das seine spärlichen Besitztümer enthielt, und rannte aus dem Schlafsaal, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Niemand sah ihn fortgehen. Die anderen Lehrlinge waren bereits bei der Arbeit, und der Anblick des Himmels, der bei jedem Hinsehen finsterer war, hielt jedermann hinter geschlossener Tür. Der Wind hatte sich gedreht und wehte aus Norden, der Regen war in Schneeregen übergegangen. Scall nahm auf dem Weg zur Schmiede noch einmal jeden Anblick in sich auf: die gepflegten Ziegelhäuschen der Handwerker, die Ställe, die Werkstätten, die kahlen Bäume und den morastigen Rasen. Er konnte nicht glauben, dass er diesen Ort für immer verlassen sollte. Alles war viel zu schnell gegangen, als dass er es schon so recht begriffen hätte. Bereits morgen würde er ein neues Zuhause haben, eine neue Lehrmeisterin und einen neuen Beruf. Das will ich nicht, dachte er – doch ihn hatte man nicht gefragt.
    In der Schmiede wartete Agella schon auf ihn. »Ah, da bist du endlich. Beeil dich jetzt, Scall. Fergist hält die Pferde bereit. Du hast keine Zeit zu verlieren. Die Tage sind kurz, und du willst doch sicher vor dem Dunkelwerden oben sein?«
    Scall sah einen Hoffnungsschimmer. »Könnten wir es nicht bis morgen aufschieben?«
    Agella schüttelte den Kopf, und er verzagte. »Nein. Wie der Himmel aussieht, wird es bald schneien, und morgen würdest du vielleicht überhaupt nicht mehr dorthin gelangen können. Du musst sofort aufbrechen, und vertrödle keine Zeit auf der Straße.«
    »Aber Tante Agella …« Er wusste genau, dass sie es nicht ausstehen konnte, wenn er jammerte, und dennoch versuchte er verzweifelt, sie von ihrem Entschluss abzubringen. Wenn er ihr doch nur von der Weste erzählen könnte! Aber die Vorstellung, dass er tatsächlich mit der gestohlenen Habe einer Toten ein Geschäft gemacht hatte, ließ ihn eine brennende Scham empfinden. Niemand durfte es je erfahren. Er könnte es nicht ertragen, mit einem

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