Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
sich ging.
Nun umringten die drei Astari ihre Späherkugel in fassungslosem Schweigen. Aethons Tod war eine Katastrophe bar jeder Beschreibung. Xiara, der Vergangenheitsastar, kam als Erste wieder zu sich. Wegen Aethons unersetzlichem Gedächtnis hatte sie immer ein enges Verhältnis zu ihm gehabt und war entschieden dagegen gewesen, ihn überhaupt aus der Sicherheit Zaltaiglas fortzulassen, doch am Ende war sie von den anderen überstimmt worden. Sie raschelte mit ihren großen Flügeln, ihre Juwelenaugen, die so tödliche Waffen sein konnten, blitzten vor Zorn und Schmerz. »Da seht ihr es!«, sagte sie bitter. »Genau, wie ich vorhergesagt habe. Habe ich euch nicht immer und immer wieder gewarnt, dass dies passieren würde, wenn ihr den armen Aethon zu diesem verfluchten Schattenbund aussendet?«
Taleng, der Zukunftsastar, ließ ein tiefes Knurren hören. »Allerdings«, antwortete er dann höhnisch, »und ich erinnere daran, dass du so sehr damit beschäftigt warst, Unglück und Untergang zu prophezeien, dass du mit keinem Gegenvorschlag aufwarten konntest.«
Chandrakanan, Astar für die Gegenwart und darum Ratsvorsitzende, unterbrach das Gezänk ihrer Beigeordneten. »Das hilft uns nicht«, sagte sie scharf. Sie wandte sich wieder der Kugel zu und sprach ihren Späher an: »Wenn dieses Unglück bereits vor ein paar Tagen passiert ist, warum erfahre ich es dann erst durch dich? Warum hat der Archimandrit es nicht für nötig gehalten, mich sofort zu unterrichten?«
Das unbewegte Gesicht des Spähers wuchs in dem Bild, als er näher an seine Glaskugel rückte. »Cergorn fühlt sich zur Zeit sehr bedroht. Weil das Gefüge dieser Welt nach und nach zusammenbricht, gerät er im Schattenbund unter stetig wachsenden Druck, das geheime Wissen der Schöpfer zu benutzen. Seine Weigerung, wenigstens die Möglichkeit zu erwägen, wird immer heftiger kritisiert. Ich glaube, er wusste, was Aethons Tod für euch bedeutet, und versucht, sein Scheitern zu verbergen, bis er mit dem Aufruhr vor der eigenen Haustür fertig ist. Außerdem ist noch mehr an der Sache, als es zunächst den Anschein hat. Er hat seine eigene Partnerin, die Altgediente Thirishri, ausgeschickt, um den Tod des Sehers untersuchen zu lassen, und sie verschwand unter rätselhaften Umständen. Es scheint, als habe tatsächlich irgendwo jemand entdeckt, wie man einen Luftgeist tötet.«
»Wie bitte?«, rief Chandrakanan entsetzt aus. »Nehmen die Unglücksbotschaften denn kein Ende?« Die anderen fielen in ihre Leidensbekundungen ein. Dass es etwas geben sollte, das einen Luftgeist umbringt, war schlimm genug, aber Thirishri hatte das Drachenvolk häufig besucht und war bei ihnen gern gesehen und geachtet gewesen.
»Wenn das so ist«, fuhr die Vorsitzende fort, »entschuldigt Cergorns Schmerz so manches, aber da er Thirishri aussandte, um Aethons Tod zu untersuchen, war sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verschwunden. Warum also verschwieg er uns den Verlust des Sehers? Denn zweifellos haben wir sein fortgesetztes Schweigen als Verheimlichung anzusehen.«
»Er behauptet, er habe zuerst abwarten wollen, bis Veldan und Kazairl, die Aethon eskortiert haben, zurückkehren und genau erklären, was passiert ist.«
»Eine lahme Ausrede«, murrte Xiara.
»Und?«, drängte Taleng.
Die Augen des Spähers glitzerten. »Sie sind heute früh eingetroffen und haben eine äußerst befremdliche Geschichte erzählt. Sie behaupten, dass Aethon im Augenblick seines Todes seinen Geist und Verstand in den Körper des ihm am nächsten stehenden Menschen übertragen hat. Ich möchte euch keine unnötigen Hoffnungen machen, aber möglicherweise sind die Erinnerungen des Drachenvolkes doch noch nicht verloren.«
Wieder gab es einen Augenblick fassungslosen Schweigens, während die Astari die unglaubliche Neuigkeit verdauten. Dann sahen sie einander mit aufkeimender Hoffnung an. Chandrakanan ergriff als Erste das Wort. »Aber wenn das wahr ist, welchen Grund hat Cergorn für die fortgesetzte Verheimlichung? Das Drachenvolk ist seit undenklicher Zeit mit dem Schattenbund verbündet. Warum setzt der Archimandrit diese Beziehung aufs Spiel?«
»In der Tat«, fügte Taleng hinzu. »Er muss doch wissen, dass diese Entwicklung für unser Volk von lebenswichtiger Bedeutung ist.«
»Er weigert sich, seinen Wissenshütern zu glauben«, antwortete der Späher. »Jener Mensch kann – oder will – Aethon nicht erlauben, mit anderen zu sprechen, deshalb glaubt der Archimandrit, dass
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