Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
Veldan und Kazairl sich die Geschichte ausgedacht haben, um die eigene Schande geringer erscheinen zu lassen. Solange der Mensch nicht zur Mithilfe bewegt werden kann, haben sie keinen Beweis.«
»Wer ist denn dieser Mensch?«, fragte Xiara.
»Du stellst eine sehr wichtige Frage, aber die Antwort wird dir nicht gefallen. Der Wirt ist offenbar Zavahl, der abgesetzte Hierarch von Callisiora. Der Mann ist dem Schattenbund wohl bekannt als ein religiöser Eiferer der übelsten Sorte, daher ist es nicht verwunderlich, dass er unseren Seher nicht sprechen lassen will. Sofern Kazairl und Veldan die Wahrheit sagen, heißt das.«
Chandrakanan beugte sich nach vorn. »Und du?«, fragte sie ruhig. »Was meinst du dazu?«
»Ich meine, dass Cergorn ein Narr ist, diese Möglichkeit nicht zu berücksichtigen. Ich meine, dass er sich unvernünftig verhält, weil er zornig und verzweifelt ist und weil er trauert. Aber wenn sein Zorn sich abkühlt, wenn er vielleicht eine Nacht darüber geschlafen hat, glaube ich, dass er den Bericht ausführlicher untersuchen wird.« Der Späher zögerte. »Wenn ihr den Seher zurückhaben wollt, oder wenigstens sein Gedächtnis, dann meine ich, sollten wir heute Nacht handeln, bevor der Archimandrit den nächsten Schritt tut. Aethons Wissen wird für den Schattenbund auch dann wichtig sein, wenn es tatsächlich in einem menschlichen Körper lagert, und Cergorn wird davon Gebrauch machen wollen. Und man darf nicht vergessen, dass es noch diejenigen gibt, die ihn nicht mehr unterstützen. Auch sie werden die Erinnerungen des Sehers nützlich finden, und wir müssen handeln, bevor sie es tun. Außerdem ist der Mensch Veldan zufolge nicht sehr robust, und die ständige Anwesenheit eines Eindringlings in seinem Kopf könnte ihn an den Rand des Wahnsinns bringen. Was ist, wenn er flieht? Wenn er sich etwas antut, sich gar umbringt? Ich rate dazu, dass ihr Schritte unternehmt, um ihn zurückzuholen, und zwar so schnell wie möglich, damit die kostbaren Erinnerungen geborgen werden können, bevor sie für immer verloren sind.«
Chandrakanan holte tief Luft und blickte die anderen fragend an. Taleng nickte knapp. Xiaras Hoffnungen und Wünsche waren klar und deutlich in ihren Juwelenaugen zu lesen.
»Sehr gut«, antwortete die Vorsitzende ihrem Späher. »So soll es sein. Kannst du diese Aufgabe erfüllen, ohne dich zu verraten?«
»Ja, das kann ich. Entlasse mich jetzt, damit ich die Sache sofort ins Rollen bringen kann. Ich lasse euch sofort wissen, wenn der Mensch sicher in unseren Händen ist. Mach nicht so ein besorgtes Gesicht, Xiara. Es dauert nur ein paar Tage, und du hast Aethon – oder zumindest seinen Erinnerungsschatz – sicher bei dir.«
Die Kugel wurde dunkel, und das Bild von Skreeva, Hohe Wissenshüterin aus dem Volk der Alvai, verschwand.
Wie Skreeva ganz richtig vermutete, wurden an diesem Abend in Gendival noch andere Pläne ausgeheckt. Im Haus vom Veldan und Kazairl war man bereit, den nächsten Schritt zu tun.
»Bist du so weit, Ailie?«, flüsterte Veldan.
Die Gastwirtin nickte. »Macht euch bereit, hinauszuschlüpfen, sobald die Luft rein ist.« Sie gab sich größte Mühe, fröhlich zu wirken, doch ihr blasses Gesicht verriet sie. Veldan fühlte mit ihr. Die nächsten Augenblicke würden ihr Leben unwiderruflich auf eine andere Bahn lenken, und ihre Entscheidung, den Verschwörern zu helfen, hatte sie gezwungenermaßen hastig gefallt und wog dennoch schwer. Darüber hinaus, das wusste Veldan, machte sie sich Sorgen um Zavahl. Der Mann, der sein ganzes Leben geglaubt hatte, dass es jenseits der Schleierwand nichts gab, das an sein Land angrenzte, und dass es außer Menschen keine denkenden Wesen gab, stand plötzlich und ohne Warnung im Mittelpunkt eines Machtkampfes innerhalb des Schattenbundes, und niemand konnte vorhersagen, wie er sich dazu verhalten würde. Veldan bewunderte, welche Tapferkeit Ailie nach außen zeigte. Gerade winkte sie den anderen munter zu, schob ihren Korb auf dem Arm zurecht und trat hinaus in die Dunkelheit.
Ailie war nicht die Einzige, die viel aufs Spiel setzte. Sobald die drei Wissenshüter das Haus gegen den Befehl des Archimandriten verließen, betraten sie einen Weg, auf dem es keine Umkehr gab. Wenn die Verschwörung des Gaeorn fehl schlug, wenn Cergorn nicht gestürzt werden konnte, dann hatten sie Verbannung oder sogar die Hinrichtung zu erwarten. Der Zentaur hatte stets unmissverständlich klar gemacht, dass im Schattenbund für
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