Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
alle leichter, besonders für dich. Ich weiß, dass du noch nicht begreifst, was passiert, aber wir werden dafür sorgen, dass dir nichts zustößt.«
Als er nicht antwortete, zuckte sie die Achseln und wandte sich an ihre Gefährtin. »Bist du bereit, Toulac?«
Die Alte klang heiser vor Aufregung. »Ich bin in meinem Leben noch nie so bereit gewesen.«
»Dann lasst uns diesen umnachteten Ort verlassen.«
Plötzlich sprang das Ungeheuer auf die Wand zu. Zavahl schloss unwillkürlich die Augen, aber der Spott der Frauen war noch frisch, und er zwang sich, sie wieder zu öffnen. Wenn er jetzt seinem Tod begegnen sollte, dann wollte er ihm wenigstens in die Augen sehen. Er wappnete sich für den Aufprall. Aber der blieb aus. Vor seinen ungläubigen Augen teilte sich die Schleierwand und eine Lücke erschien. Ohne Zögern sauste der Feuerdrache hindurch in das Jenseits von Callisiora und schnitt Zavahl von allem ab, was ihm vertraut war, woran er geglaubt und was seinem Leben Sinn und Bedeutung verliehen hatte.
Toulac ließ ein Triumphgeheul vernehmen, das selbst das jauchzende Gebrüll des Drachen übertönte. »Wir haben’s geschafft! Myrial in der Bierschenke, was für ein Abenteuer!« Sie griff über Zavahl hinweg und klopfte ihrer Gefährtin auf die Schulter. »Und das alles verdanke ich dir, Mädelchen.« Sie sprudelte über vor Freude. »Du hast mir ein zweites Leben geschenkt.«
Veldan drehte sich zu ihr herum. »Das ist nur der Anfang, Toulac. Warte, bis du nach Gendival kommst!«
Zavahl zitterte von Kopf bis Fuß. Sein Herz hämmerte beängstigend. Er biss die Zähne aufeinander und schloss fest die Augen.
Nein! Das ist nicht möglich! Myrial hat unsere Welt geschaffen und mit Licht umgeben. Dahinter gibt es nichts. Nichts! In Wirklichkeit geschieht gar nichts. Es kann gar nicht geschehen!
Dann kam ihm die tröstliche Erkenntnis.
Warte. Wir waren sehr schnell, und in dieser Haltung konnte ich nicht viel sehen. Wir konnten unmöglich durch die Schleierwand laufen. Ich muss mich geirrt haben. Ja, das muss die Lösung sein. Ich muss im letzten Moment geblinzelt haben oder war kurz bewusstlos. Diese abscheuliche Kreatur muss zur Seite abgebogen sein. Meine Entführer sind dann auf den Kamm geklettert oder haben einen schmalen Pfad zwischen den Hügeln genommen, von dem ich nichts weiß. Und jetzt sind wir auf dem Weg in die östlichen Hügellande zu den Rotten. Genau wie ich gedacht habe. Natürlich, so muss es sein.
Und was war mit der kurzen Unterhaltung, die er belauscht hatte? Nun, Zavahl musste sich verhört oder sie missverstanden haben. Oder vielleicht waren sie auch nicht ganz richtig im Kopf. Hierzu bestand doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Die eine war praktisch senil, und die andere hatte grauenhafte Narben – ja, das passte alles perfekt zusammen. Er zog sich in seine Gedanken zurück und weigerte sich, ihren Phantastereien weiter zuzuhören, er blendete ihre Stimmen einfach aus.
Nach und nach hörte Zavahl auf zu zittern und öffnete die Augen. Callisiora verlassen? Er musste närrisch gewesen sein. Die ganze Geschichte von seiner Verschleppung, nachdem Blank ihn verraten hatte, musste ihn doch tiefer getroffen haben, als er gedacht hatte. Die Schleierwand durchschreiten! Er schnalzte empört. Welch ein Unsinn! Und als der ferne Schimmer, der den Morgen ankündigt, auf der vollkommen falschen Seite des wolkenlosen Himmels erschien, schloss Zavahl wieder fest die Augen und weigerte sich, hinzusehen.
Veldan zündete das Feuer an, hockte sich auf die Fersen und ließ die Wärme dankbar über ihr Gesicht fluten. Nachdem sie die Nacht hindurch geritten waren, tat ihr vor Kälte alles weh, und sie war hungrig, ihre Augen brannten vor Müdigkeit – aber, ach, es war ein gutes Gefühl, wieder hinter der Grenze und in Gendivals Obhut zu sein. Zum ersten Mal seit Monaten durfte sie sich entspannen. Hier war es nicht notwendig, die Vorsicht und Wachsamkeit an den Tag zu legen, auf die man jedes Mitglied des Schattenbundes gedrillt hatte, bis es ihm zur zweiten Natur geworden war.
Vorsicht!, warnte sie sich selbst. Lass niemals die Aufmerksamkeit sinken. Sie sah zu dem Gefangenen hinüber, der am anderen Ende der Schutzhöhle ausgestreckt auf dem Bett lag und augenscheinlich schlief. Sie hatten ihm die Fesseln abgenommen, ihn aber vorsichtshalber mit einem Fuß ans Bett gekettet. Nicht etwa, weil er fliehen könnte, was mit Kaz vor der Tür unmöglich wäre, sondern weil er unter der
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