Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
jetzt zu glauben, aber ich meine es ganz ehrlich: Wir wollen dir nichts antun. Wir brauchen für kurze Zeit deine Hilfe, so wie du unsere brauchen wirst. Danach wirst du frei sein und tun können, was du möchtest.« Sie schwieg eine Weile und hoffte auf eine sichtbare Wirkung.
Als keine Antwort kam, zuckte sie die Achseln und fuhr fort zu sprechen. »Du hast dich sicherlich gefragt, warum ein paar Fremde sich die Mühe machen, dich zu verschleppen. Wie können sie eigentlich von mir erwarten, dass ich ihnen helfe, wirst du gedacht haben, und was können die schon tun, um mir zu helfen. Ich bin sicher, dass dich viele Fragen beschäftigen«, sagte sie, um ihm ein Stichwort zu geben. »Wenn du mich etwas fragen möchtest, dann tu es. Ich werde dir antworten, so gut ich kann.«
Stille. Aber die Wissenshüterin war überzeugt, ein Glitzern zwischen Zavahls geschlossenen Lidern zu sehen. Nun, wenigstens hatte sie seine Aufmerksamkeit geweckt. Das war ein Anfang. Sie schaute rasch weg und starrte wieder ins Feuer. »Neulich nachts hast du mich einen Dämon genannt.« Es fiel ihr sehr schwer, sich ihre Empörung nicht anmerken zu lassen und stattdessen ihren ruhigen Ton beizubehalten. »Ich bin nichts dergleichen, weißt du. Ich ein Mensch wie du. Ich nehme an, dass du das jetzt siehst, wo ich mich nicht plötzlich aus der Dunkelheit über dich beuge und dich zu Tode erschrecke. Inzwischen dürfte ich dir sogar ganz gewöhnlich erscheinen, da du jetzt meinen Freund Kazairl kennst. Woher er stammt, weiß niemand. Er schlüpfte aus einem Ei, das meine Mutter gefunden hat, als ich noch ein Kind war, und seitdem ist er mir ein zuverlässiger Gefährte gewesen. Natürlich kann er nicht der Einzige seiner Art sein. Er muss irgendwo Eltern gehabt haben, aber seine Herkunft ist uns ein völliges Rätsel. Ich weiß, das es schwer für dich ist, das anzuerkennen, aber er ist ein denkendes Wesen und keinesfalls ein Ungeheuer. Wenigstens nicht, wenn man ihn erst einmal richtig kennt«, fügte sie verschmitzt hinzu.
Aus Zavahls Ecke war ein heftiger Atemstoß zu hören. Veldan konnte ihm ansehen, wie sehr er sich zwingen musste, nichts darauf zu erwidern.
»Als ich dir zum ersten Mal begegnet bin«, sprach sie weiter, »hast du gesagt, dass da etwas in deinem Kopf ist. Es muss dir große Angst gemacht haben. Aber hast du mal einen Moment lang überlegt, dass das arme Wesen, das in deinem Geist eingeschlossen ist, vielleicht ebenso viel Angst hat wie du? Schließlich sind seine Möglichkeiten begrenzt. Er ist einfach ein Mitreisender – ein Gefangener gewissermaßen. Er befindet sich in dir, weil sein eigener Körper gestorben ist und er sonst nirgendwohin hat gehen können. Doch abgesehen davon, dass er dir Angst einjagt, hat er dich in keiner Weise bedroht, nicht wahr? Du hast nach wie vor Gewalt über deinen Körper, und deine Gedanken sind deine eigenen, stimmt’s? Wenn wir dich nicht gerettet hätten und du auf dem Scheiterhaufen gestorben wärst, dann wäre auch er gestorben, und zwar wegen einer Angelegenheit, die nichts mit ihm zu tun hat. Du bist ein gescheiter Mann und als Hierarch sicherlich kein mitleidloser Mensch.« Veldan bezweifelte das, aber es erschien ihr lohnend, ihm diesen Gedanken einzupflanzen. »Kannst du dich in ihn hineinversetzen? Kannst du dir vorstellen, welch schreckliche Angst er gehabt haben muss, als man schon im Begriff war, das Feuer anzuzünden?«
Auch diesmal gab Zavahl keine Antwort, und Veldan beschloss, sich zufrieden zu geben, solange sie einen Vorsprung hatte. Obwohl er keine Bewegung hatte erkennen lassen, wusste sie doch, dass er ihr zugehört hatte. »Du sollst jetzt Ruhe haben«, sagte sie zu ihrem Gefangenen. »In dem Eimer neben dem Bett ist Wasser, und da steht auch eine Tasse zum Trinken. Ich habe dir ein paar Tücher dorthin gelegt, falls du dich waschen möchtest, und da steht ein zweiter Eimer am Fußende des Bettes für alle Fälle – ich meine, falls du mal musst. Ich könnte mir vorstellen, dass du ziemlich verzweifelt bist. Wenn es so weit ist, bringe ich dir etwas Warmes zu essen, danach wirst du dich vielleicht besser fühlen. Der gestrige Tag war schlimm für dich, und wir haben uns nicht richtig um dich gekümmert. Das tut mir Leid, aber es musste so sein. Ich hoffe, dass du es mit der Zeit verstehst.«
Als Veldan vor die Höhle trat, ging die Sonne bereits auf, und dankbar streckte sie ihr Gesicht den Strahlen entgegen. Sie merkte, dass Zavahl ihr ein wenig Leid tat
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