Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
Ausrüstung der Höhle etwas finden könnte, um sich selbst zu verletzten. Denn Zavahl hatte sich den ganzen Weg über gewehrt, und das obwohl sie ihn vor einem schrecklichen Tod bewahrt hatten.
Soll er doch verfaulen!, dachte Veldan. Wenn er nur bereit wäre, uns zu helfen. Er müsste doch inzwischen begriffen haben, dass wir nicht seine Feinde sind. Doch wie sie den einstigen Hierarchen so betrachtete, war es ihr unmöglich, ihn nicht zu bedauern. Er war grau vor Erschöpfung und von Prellungen entstellt und hatte eine böse Brandwunde. Ärger, Enttäuschung und Verbitterung hatten harte Linien in sein Gesicht gegraben.
Armer Idiot. Wenn er sich wenigstens von uns helfen lassen würde. Der Gedanke überraschte sie. Bisher hatte sie keinerlei Zuneigung für diesen Schuft empfunden – nicht seit er vor ihrem Anblick zurückgeschreckt war und sich geweigert hatte, sie als Menschen zu erkennen, zumal sie selbst noch kaum Zeit gehabt hatte, sich mit ihrer Entstellung abzufinden. Sein Erschrecken hatte sie tief verletzt. Seitdem behandelte sie ihn zornig und unwillig, aber Zavahl machte es jedem leicht, ihn lediglich als eine Last anzusehen.
Veldan starrte ins Feuer, während sich ihr Denken entspannte. Zum ersten Mal sah sie seine missliche Lage, versuchte sie ein wenig seine Angst zu verstehen. Er schwebte in qualvoller Ungewissheit. Er war von Fremden verschleppt worden, die ihn zu einem unergründlichen Zweck an einen unbekannten Ort brachten. Sie stellte mit Unbehagen fest, dass sie ihn nicht viel anders behandelte, als er sie – ja, der Gedanke an sein Leiden hatte ihr sogar eine heimliche Genugtuung verschafft.
»Die Pest soll ihn holen!«, murmelte sie. Ihre neuen Einsichten hatten nicht dazu geführt, dass sie Zavahl besser leiden mochte. Stattdessen begann sie zu verstehen, dass er niemals von sich aus mit ihnen zusammenarbeiten würde, solange man ihm erlaubte, diese Haltung misstrauischer Verdrossenheit beizubehalten. Und er würde mit ihnen zusammenarbeiten müssen. In seiner Hand lag das Schicksal des Drachensehers und damit die unersetzliche Geschichte und Überlieferung des Drachenvolkes, die sich über unzählige Generationen spannte. Mit Schaudern kam ihr ins Gedächtnis, wie sie Aethon zuletzt gesehen hatte, als sie mit ihm und Kaz zum Schlangenpass hinaufgestiegen war: die Haut matt, die Flanken eingefallen, die Flügel runzlig und ein großes juwelengeschmücktes Auge, das sonst glänzte und funkelte, für immer trübe geworden. Für Aethon gab es kein Zurück. Sein Leib war zugrunde gegangen, ohne Hoffnung auf Wiederherstellung. Was von ihm übrig war, sein Geist und sein Wissen, war gefangen im Kopf eines halb verrückten Mannes, dessen Glaube allein seine bloße Existenz leugnete. Dabei hing die unmittelbare Zukunft und das Fortbestehen der Welt vielleicht von den Erinnerungen dieses Drachen ab.
Auf irgendeine Weise musste Zavahl dazu gebracht werden zu begreifen, was auf dem Spiel stand. Irgendjemand würde versuchen müssen, sein Vertrauen zu gewinnen. Veldan rieb sich die Stirn. Warum ich?, dachte sie seufzend. Aber sie kannte die Antwort auf diese Frage genau – wie jeder andere Wissenshüter auch.
Gleich zu Beginn ihrer Unterweisung hatte Cergorn selbst es jedem dargelegt: »Wenn du ein Wissenshüter sein willst, machst du dich besser mit dem Gedanken vertraut, dass du die meiste Zeit damit verbringen wirst, Dinge zu tun, die du eigentlich nicht tun willst. Sie bewegen sich zwischen unangenehm und beschwerlich bis hin zu qualvoll und ausgesprochen widerlich, aber du wirst daran nicht vorbeikommen. Wenn du damit nicht zurechtkommst, dann bist du kein würdiges Mitglied des Schattenbundes und wirst ihm nicht lange angehören. Wir haben für diese Welt nach bestem Wissen zu sorgen und zumeist bedeutet das, beiseite zu schaffen, was andere Leute angerichtet haben. Wenn dir dieser Gedanke nicht behagt, dann geh jetzt und erspare uns allen viel Zeit und Ärger.«
Veldan schaute wieder zu dem Mann auf dem Bett hinüber.
Vermutlich ist es einen Versuch wert. Aber offengestanden würde ich mich lieber der Gefahr aussetzen und den Kerl noch einmal retten, als mich mit ihm anzufreunden, nachdem ich ihn schon am Hals habe.
Sie räusperte sich. »Zavahl«, begann sie, »ich weiß, dass du nicht schläfst. Du musst nicht mit mir sprechen, wenn du nicht willst. Aber bitte hör mich an. Verschließe dich nicht aus Angst den Dingen, die ich dir zu sagen habe. Es mag für dich schwierig sein, mir
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