Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
wie Kaita, und Galveron war anscheinend überall gleichzeitig und verbreitete Zuversicht, half, schlichtete Streit und schaffte Hindernisse beiseite, die noch im Augenblick zuvor unüberwindlich erschienen waren.
Als der Tag endlich vorüber war, berief die Hierarchin alle wichtigen Helfer zu einer Versammlung ein, um die Fortschritte zu bewerten. Als Kaita die Aufforderung erhielt, war sie gerade dabei, sich um ein Kind mit einem gebrochenen Arm und vielen Blutergüssen zu kümmern, das in der panisch flüchtenden Menge gestolpert war und fast tot getrampelt worden war. Zuerst war sie ärgerlich. »Ich habe keine Zeit für solchen Unsinn«, sagte sie der Schmiedemeisterin, die ihr die Nachricht brachte. »Sag der Hierarchin, dass ich viel zu beschäftigt bin.«
Agella strich sich ihren roten Haarwust aus dem Gesicht und zuckte die Achseln. »Genau wie ich. Ich versuche, für die hilflosen Schafe da unten eine saubere Wasserversorgung und Abfallbeseitigung einzurichten, bevor ihr Heiler zu allem anderen noch eine Seuche auf dem Hals habt. Aber die Hierarchin meint, dass es uns allen besser geht, wenn wir uns eine Stunde von unserer Arbeit entfernen und uns einen Überblick verschaffen, wie wir alles bewerkstelligen.« Sie seufzte. »Ich wage zu behaupten, dass sie Recht hat. Es ist vernünftig, wenn wir unsere Anstrengungen miteinander abstimmen, anstatt kopflos umher zu rennen wie die Hühner. Ich befürchte nur, wenn ich jetzt aufhöre, kann ich mich vielleicht nie wieder aufraffen.«
Ihr barscher Unterton ließ Kaita von der Behandlung des Patienten aufsehen, und sie musterte gründlich das Gesicht der Schmiedin. Agella sah blass und abgezehrt aus, aber Kaita sah auch die Trauer, die ihre Miene überschattete, und erinnerte sich, dass bald jeder in der Basilika einen geliebten Menschen verloren hatte. Sie atmete tief durch, rieb sich die Augen und versuchte, die bleierne Müdigkeit zu vertreiben, die bereits ihr Denken vernebelte. Sie antwortete sehr freundlich: »Also gut, ich werde jetzt mitkommen. Je eher wir uns treffen, desto eher können wir zu unserer eigentlichen Arbeit zurückkehren.«
Als sie ziemlich außer Atem in der Wohnung der Hierarchin ankamen, nachdem sie ihre müden Knochen die Treppen hinaufgeschleppt hatten, stellte Kaita fest, dass sie mit ihren Bedenken nicht allein dastanden. Von dem Dutzend Gesichter, die um den Ratstisch versammelt waren, zeigten fast alle dieselbe hohläugige Erschöpfung, und nach den mürrischen Blicken und der allgemeinen Unruhe zu urteilen, wollte sich niemand lange hier aufhalten. Plötzlich bekam Kaita Mitleid mit der neuen Hierarchin. Es ist schwer genug, nur die Verantwortung für die Kranken und Verwundeten zu tragen, dachte sie. Wie muss es sein, letzten Endes verantwortlich zu sein? Wie kann sie diese Last tragen?
An jedem Platz um den Tisch stand ein Becher mit dem starken schwarzen Tee der Soldaten, der auch von den Heilern sehr geschätzt wurde, wenn sie bei einem Kranken wachen mussten. Dankbar schloss Kaita ihre steifen, kalten Finger um die Tasse und nahm einen vorsichtigen Schluck von dem kochendheißen Getränk, das mit Honig gesüßt war. Sie beobachtete, wie die anderen sich mehr oder weniger zufällig einen Platz aussuchten, bis auf Hauptmann Galveron, der sich rechts neben, die Hierarchin setzte.
Als alle still waren, begann Gilarra zu sprechen. »Zunächst sage ich euch Dank, dass ihr gekommen seid. Ich weiß sehr wohl, dass ich euch von dringenden Aufgaben abgezogen habe, aber es ist wichtig, dass wir unsere Erfahrungen austauschen, damit wir so wirksam und einwandfrei wie möglich arbeiten.« Sie blickte ernst in die Runde. »Eines dürft ihr nicht verkennen: Wir, die wir hier an diesem Tisch sitzen, halten die Zukunft Tiaronds in der Hand.«
Kaita sah sich die Gesichter der Reihe nach an, während die Hierarchin ihre Helfer einander vorstellte. Neben Hauptmann Galveron saß Sergeant Dawel, ein Mann im mittleren Alter. Er hatte blaue Augen, rotblondes Haar, das schon ein wenig grau wurde, und machte einen geradlinigen Eindruck. Links von Gilarra saß Maravis, die als Kustos die umfangreiche Schriftensammlung der Priesterschaft verwahrte, eine anmutige Frau mit grauen Haaren und einem Gesicht von lieblich-heiterer Schönheit, das über ihr vorgerücktes Alter hinwegtäuschte. Neben ihr eine große spindeldürre Frau mit saurer Miene, die ihren kleinen Mund zusammenpresste. Auf ihrem Kopf türmte sich eine Menge graues Haar. Kaita sah sie
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