Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
essen, und hier unten ist nichts – zumindest nichts, das uns irgendetwas nützen könnte.« Er legte eine Hand auf ihren Arm. »Den Versuch war es wert, aber es ist nichts dabei herausgekommen. Wir konnten nicht wissen, wie es hier unten aussieht. Hör zu, lass uns umkehren, der dummen Kuh ihren Ring wiedergeben und Alestan aus dem Gefängnis befreien. Dann sollten wir alle zusammen da verschwinden und in die Stadt zurückgehen. Bestimmt finden wir einen Platz, wo wir vor den Ungeheuern sicher sind. Vielleicht könnten wir in so einer Gruft bleiben, von der du erzählt hast, wo du neulich die Nacht verbracht hast. Wir sollten den Tatsachen ins Auge blicken. Ganz gleich, wie sehr wir uns Mühe geben – oder wie sehr du dir Mühe gibst, denn schließlich hast du bisher die ganzen Opfer gebracht – wir werden einfach nie zu diesem Tempelvolk passen.«
Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Und umso mehr als sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass sie stimmten. Da ihr ein besseres Ziel – wahrscheinlich Gilarra – fehlte, trat sie gegen die Wand und fluchte fürchterlich. »Das ist einfach ungerecht, Packrat! Warum werden wir immer ausgeschlossen, beargwöhnt, verachtet? Schließlich und endlich sind wir auch nicht anders als andere Leute!«
»Oh, doch«, erwiderte Packrat ruhig. »Mach dir nichts vor, Aliana. Wir sind Diebe, Gesindel, Pack. Sie wollen uns nicht, weil wir nicht nach ihren Gesetzen leben, und da führt kein Weg dran vorbei.« Er sah ihr noch einmal ganz offen in die Augen. »Ich nehme an, dir fällt es schwerer, das hinzunehmen. Früher hast du mal zu dieser trauten Gemeinschaft dazugehört, bevor deine Familie harte Zeiten durchmachen musste. Darum möchtest du, dass sich die Dinge wieder ändern. Für mich ist es anders. Ich bin immer ein Ausgestoßener gewesen. Ich kenne es nicht anders.«
Während der ganzen Zeit, da Packrat zu den Grauen Geistern gehörte, hatte sie nie bemerkt, dass er so unvoreingenommen und geradeheraus war, und sie wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte. Zum Glück ließ er sie vom Haken. »Also schön«, sagte er grob. »Was hältst du davon: Wir gehen um die Ecke und sehen uns die komischen Lichter an, und wenn sich herausstellt, dass es da genauso aussieht wie hier, nur hübsch bunt, dann gehen wir zurück. Abgemacht?«
»Vielleicht«, antwortete Aliana ausweichend. »Diese Lichter müssen doch etwas bedeuten. Lass uns einen Blick darauf werfen und dann entscheiden.«
Vorsichtig schlichen sie auf das pulsierende Licht zu und um die Ecke. »Siehst du«, sagte Packrat. »Hier ist es wie überall.«
»Nein, stimmt nicht«, beharrte Aliana. »Weiter hinten im Gang schimmern die Wände nicht mehr. Entweder sind sie nicht mehr aus diesem Metall sondern sonstwie schwarz, oder dort hört das Licht auf.«
Packrat kniff die Augen zusammen. »Ich kann keinen Unterschied sehen. Lass uns umkehren.«
Aliana sah ihn durchdringend an. »Das sagst du nur, weil du nicht weiter gehen willst. Also, ich werde es mir ansehen. Du kannst nach Belieben hierbleiben oder mitkommen.« Ohne seine Entscheidung abzuwarten, lief sie den Gang hinunter und konnte ihre Füße nicht davon abbringen, mit dem Pulsieren des Lichtes im Gleichschritt zu bleiben. Sie suchte angestrengt nach einer Leuchtquelle, aber es schien von überall und nirgendwo her zu kommen, strahlte von Wänden ebenso ab wie vom Boden und der Decke. Je weiter sie ging, desto mehr schien selbst die Luft vor Farbe zu sprühen.
Das ist alles sehr hübsch, aber wozu das alles? Ich kann mir nicht denken, was es nützen soll, dass das Licht die Farbe wechselt, und langsam kommt es mir vor, als wäre dieser Ort etwas Lebendiges.
Nachdem sie noch ein kleines Stück gegangen war, sah sie ganz deutlich die Stelle, wo sich alles änderte. Man konnte meinen, der Gang endete plötzlich vor einer tief schwarzen Wand, aber dann erkannte sie, dass keine ihrer Vermutungen stimmte. Der Gang endete – das war alles. Beim nächsten Schritt würde sie hinunter stürzen, und soweit sie sagen konnte, war hinter den Kanten der Wände nichts als ereignislose schwarze Leere. Scheinbar hatte Packrat Recht gehabt. Ihr Plan war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.
Ohne Vorwarnung schwammen ihre Augen plötzlich in Tränen, aber was sie vor einem höchst unpassenden und peinlichen Weinkrampf bewahrte, war Packrats spöttische Stimme hinter ihr. »Ich hab’s dir gesagt. Können wir jetzt umkehren?«
»Ich denke
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