Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
schon.«
»Hurra.« Packrat klatschte mit beißendem Spott in die Hände. Und als er das tat, flutete von irgendwoher aus der nichts sagenden Schwärze Licht herab – strahlendes, weißes Licht – und erhellte den leeren Raum. Aliana staunte mit offenem Mund. Wo vorher nur Dunkelheit gewesen war, sah man nun einen Schacht, der etwa acht Schritt durchmaß und sich in unerkennbare Tiefe und Höhe fortsetzte. In der Mitte gab es eine weitere Plattform, die an die sechs Fuß breit und nichts weiter als das flache Ende einer viereckigen Säule war. Soweit Aliana sehen konnte, bestand die Oberfläche aus einem Metallgitter mit daumenbreiten Löchern. Durch die Löcher war nur dunkler Untergrund zu erkennen, wenngleich das aus dieser Entfernung nicht überraschte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Schachtes befand sich eine eckige Öffnung, die offensichtlich eine Fortsetzung des Ganges bildete, in dem sie standen. Drüben sah alles genauso aus, außer dass die Beleuchtung von eher gewöhnlicher Art war.
Packrat schaute über die Schlucht und schätzte die Entfernung, dann spähte er in die dunkle Tiefe hinunter. »Wie ich gesagt habe, es ist Zeit, umzukehren.«
»Jetzt warte mal«, widersprach Aliana aufsässig. »Wir haben vereinbart: ›wenn es genauso aussieht wie überall‹, aber hier sieht es anders aus. Wir können es schaffen.«
»Ja, klar«, höhnte Packrat. »Nimm nur zuviel Anlauf, spring ein bisschen zu weit, und du gehst auf der anderen Seite der Plattform über die Kante, ohne dass dich etwas halten kann. Und wenn du es doch schaffst, im Ziel zu landen, dann kannst du nur ganz knapp Anlauf nehmen für den nächsten Sprung hinüber – oder wieder zurück, denn hierher zu springen wird genauso unmöglich sein. Dann hast du die Wahl, auf der Plattform zu verhungern oder hinunterzuspringen, um das Ende zu verkürzen.«
Verärgert, weil er sich schon wieder querlegte, fuhr sie ihn an: »Würdest du bitte aufhören, in einem fort zu verzagen, Packrat? Wenn wir im zweiten Stock herumklettern, machen wir ständig größere Sprünge als den hier.«
»Aber dann ist immer etwas zum Festhalten da«, hielt er ihr entgegen, »ein Mauervorsprung, ein Fensterladen, ein Abflussrohr. Wenn du den Sprung hier falsch einschätzt, dann saust du in einem Rutsch bis ganz nach unten.«
Der Witz war der, dass wenn Aliana allein gewesen wäre, sie es sich zweimal überlegt hätte, den Weg fortzusetzen. Aber Packrats Einwände hatten die gegenteilige Wirkung dessen, was er erreichen wollte, und machten sie nur noch entschlossener. Hauptsächlich aber trieb sie ihre Verbitterung gegen die Hierarchin voran. Von der ersten Begegnung an hatten die beiden Frauen einander abgelehnt, schon als die Diebin ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um das verzweifelt benötigte Sprengpulver von der Zitadelle in den Tempel zu bringen, und dann mit so wenig Wertschätzung und Dankbarkeit von Gilarra empfangen worden war, und daran hatte sich im Laufe ihrer weiteren Bekanntschaft nichts geändert. Im Gegenteil, ihr Verhältnis zu einander schien sich beständig zu verschlechtern. Wenn Gilarra nur Alestan nicht eingesperrt hätte, Aliana hätte ihren verrückten Plan angesichts der Schwierigkeiten, denen es zu begegnen galt, vielleicht fallen gelassen. Aber niemand, nicht einmal die Hierarchin, durfte Anklagen gegen ihren Bruder erfinden und damit durchkommen. Was Aliana betraf, so war sie um so zufriedener, je schwieriger es für die anderen sein würde, den verwünschten Ring wiederzuerlangen. »Ich gebe nicht auf«, beharrte sie stur.
Packrat gab einen langen Seufzer von sich, und sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, seinen Ärger zurückzuhalten. »Weißt du, vielleicht gibt es noch einen anderen Weg, Gilarra beizukommen«, sagte er. »Einen, an den du noch nicht gedacht hast. Warum schmeißt du den Ring nicht einfach da runter?« Mit einem Wink deutete er die Bodenlosigkeit des Schachtes an. »Dann kriegt sie ihn nie zurück.«
Aliana schüttelte den Kopf. »Nein, Packrat, das wage ich nicht. Alle scheinen dem Ding eine bestimmte Bedeutung zuzumessen. Mir fällt zwar nichts ein, wozu man den Ring gebrauchen kann, aber für den Fall, dass er wirklich wichtig sein sollte, will ich ihn irgendwo bereit liegen haben. Nein, ich werde hinüberspringen. Hör zu, du wartest hier auf mich. Es ist nicht nötig, dass du dich in Gefahr begibst. Ich werde auf der anderen Seite hoffentlich nicht weit zu gehen haben, bis ich ein Versteck finde,
Weitere Kostenlose Bücher