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Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit

Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit

Titel: Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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aufrecht, aber nun begann Amaurn endgültig zu erschlaffen. Als er merkte, dass er denselben Absatz zum fünften oder sechsten Mal las und noch immer nicht wusste, was darin stand, gab er sich schließlich geschlagen (wie er meinte) oder kam endlich zur Vernunft (wie seine Gefährten meinten). Maskulu jagte ihn fast aus dem Saal, und Kyrre schickte ihn unter der strikten Anweisung fort, nicht eher wiederzukehren, als bis er vollständig ausgeschlafen sei. So trat er ans Tageslicht, rieb sich blinzelnd die Augen und atmete tief die kalte Herbstluft ein. Nach den vielen Schreckensberichten, mit denen er sich befasst hatte, verspürte er ein leichtes Erstaunen beim Anblick des stillen, schönen Tals. Bei den sanften Farben in der blassen, dunstigen Sonne fühlte er sich wie in einem Traum. Wie lange würde es diesen Zufluchtsort noch geben, wenn Gendivals Schleierwand weiter zusammenbrach?
    Amaurn entfernte sich bereits vom Versammlungshaus, als ihm klar wurde, dass er es versäumt hatte, sich eine Unterkunft zu beschaffen. Während er sich ganz und gar mit dem Leid der Welt beschäftigt hatte, waren ihm solche Nebensächlichkeiten nicht in den Sinn gekommen. Das fiel ihm natürlich erst jetzt ein, wo er Schlaf brauchte. Sein erster Gedanke war, in Veldans Haus zu gehen. Er kannte es gut, denn es hatte einst ihrer Mutter gehört, wenngleich er vermutete, dass es seit damals sehr verändert worden war, um es den Bedürfnissen des Feuerdrachen anzupassen. So nahe liegend es ihm vorkam, in dem ehemaligen Haus seiner Geliebten unterzuschlüpfen, so begriff er doch, dass er sich Veldan damit aufdrängte und sie solch eine Belästigung nicht freundlich aufnehmen würde. Er wollte sie nicht schon so bald, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, gegen sich aufbringen. Es würde nicht viel Mühe bedeuten, jemanden eine Schlafstätte besorgen zu lassen, aber eigentlich wollte er lieber niemanden bitten. Sicherlich würde es seine neu gewonnene Autorität untergraben, wenn der Archimandrit um eine Schlafstelle bitten müsste wie ein umherziehender Bettler! Außerdem erregte er in Gendival noch immer einiges Aufsehen, und es wäre angenehm, den vielen Blicken, die ihn mit Neugier oder gar Ablehnung betrachteten, für eine Weile zu entfliehen.
    Es steckte ein gewisser Hohn darin, dass er, der sich so viele Jahre über nach dem Schattenbund gesehnt hatte, ihm nun plötzlich entfliehen wollte.
    Ich muss einen klaren Kopf bekommen.
    Ohne sich um die neugierigen Blicke der Leute zu scheren, begab er sich zu dem eingestürzten Torbogen, durch den man die Siedlung verließ. Von dort nahm er den Weg, der vom Dorf wegführte, und lief am anderen Seeufer entlang, wo keine Häuser standen.
    Nach kurzer Entfernung gabelte sich der Weg, und hier wurde das Tal durch einen langen, steilen Ausläufer in zwei Arme geteilt, der am Sitz der Weisheit begann, dem großen Berg, der sich über Gendival erhob. Südlich des Ausläufers lag das tiefe, düstere Tal, in dem sich das kalte, graue Gewässer des oberen Sees befand, wo dunkle, niedrig wachsende immergrüne Pflanzen sich an die steilen Böschungen des Ufers klammerten und Bussarde in einsamen Höhen ihre Schreie ausstießen. Nach Norden zu verließ der Weg die Seen und kletterte steil hinauf durch einen Bergeinschnitt, wobei der Sitz der Weisheit linker Hand lag und zur rechten kahle, steinige Hänge aufragten – die Zeugen aus alter Zeit, als sie von verheerenden Machtkämpfen zweier feindlicher Gruppen unter den Wissenshütern gesprengt worden waren. Das verfallene Dorf mit seinen bröckelnden Mauern und Gebäuden lag etwas weiter voraus; ein trauriges, spukhaftes Mahnmal der letzten Epoche, wo es innerhalb des Schattenbundes Streit und Spaltung gegeben hatte.
    Und es hat mich nichts gelehrt.
    Amaurn hatte nicht die Absicht, bis zu diesem trostlosen, gespenstischen Ort zu gehen. Zur Zeit träfe es bei ihm eine zu empfindliche Saite. Er nahm den steilen Weg nach Norden, verließ ihn aber nach einem kurzen Stück und schlug die Richtung nach dem Sitz der Weisheit ein. Es gab keinen deutlichen Pfad dahin, aber er brauchte keinen, denn er erinnerte sich genau, wie man dorthin kam. Der Berg erhob sich sehr steil über mehrere abgestufte Felswände und nahezu senkrechte Hänge, wo Efeu, Stechginster und Brombeeren wucherten und zähe kleine Bäume – Ebereschen, Haselsträucher, Stechpalmen und Birken – sich stur festhielten und wie es schien allen Widrigkeiten zum Trotz überlebten.
    Nach den

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