Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Gesichtsausdruck – und die roten Flecken – verborgen hätte. Doch der bloße Gedanke an die Maske genügte, dass er die gebieterische Ausstrahlung des Überbringers zurückgewann. »Ich mag achtlos gewesen sein«, sagte er scharf, »doch woher nimmst du das Recht, mich auszuforschen?«
Seine wütenden, hitzigen Augen begegneten dem kühlen Blick des Archimandriten. Keiner wollte dem anderen weichen, und der Zweikampf ihres Willens hätte sich endlos fortgesetzt, wenn nicht der kleine pelzige Wissenshüter Amaurn dazu gebracht hätte, vor Schmerz zusammenzuzucken und das Patt damit aufzugeben.
Als sich ihre Blicke wieder begegneten, war Amaurns Miene weniger hart und kalt. »Ich bin in deine Gedanken eingedrungen, weil ich es für notwenig hielt«, sagte er zu Kalt. »Wie du sehen kannst, treffen wir einander nicht unter den besten Umständen. Was ich dir gleich mitteilen werde, ist im Schattenbund noch nicht allgemein bekannt, darum verlange ich von dir, dass du deinen Mund verschlossen hältst und deine Gedanken beherrschst, junger Mann. Ich bin heute von einem Meuchelmörder angegriffen worden und nur knapp mit dem Leben davongekommen. Leider ist auch der Mörder entkommen. Er ist ein Takur – ein Gestaltwandler, der sich verwandeln kann, wie es ihm gerade einfällt – selbst die Gestalt des geschätzten Gehilfen meines ältesten Freundes könnte er annehmen. Du siehst also, ich muss sehr vorsichtig sein, bis der Angreifer gefasst ist. Darum behandelt Kyrre meine Wunde in Maskulus Wohnung, anstatt mich in der Siedlung zu behandeln. Wir verschweigen meine Verwundung, damit sie nicht im Schattenbund die Runde macht und womöglich noch jemandem einen ähnlichen Einfall beschert.« Er zog eine Grimasse, die mehr von den Schmerzen herrühren mochte als von dem Versuch zu lächeln. »Darum entschuldige ich mich nicht dafür, dass ich in deine Gedanken eingedrungen bin. Ich weiß nun, dass du der bist, für den du dich ausgibst, und nicht irgendein Hochstapler.«
Dann wurde er freundlicher. »Es tut mir so entsetzlich Leid um Grimm. Er war mein bester und ältester Freund. Er hatte sich schon so lange darauf gefreut, nach Gendival zurückzukehren, und nun ist es nicht mehr dazu gekommen.« Amaurn wandte kurz das Gesicht ab, ehe er sich Kalt mit einem herzlichen, wenn auch angestrengten Lächeln erneut zuwandte. »Aber sein Gehilfe ist doppelt willkommen. Ich weiß, dass er dich und deine Fähigkeiten hoch geschätzt hat, Kalt, und wenn du hier zu bleiben wünschst: ich kann jeden Gefolgsmann gebrauchen, der …«
Wieder verzog er vor Schmerzen das Gesicht. »Wirst du das verfluchte Ding wegnehmen, Kyrre!«, schnauzte er. »Wie soll ich denn ein Gespräch führen, während du mir mit diesem mörderischen Gerät das Fleisch versengst?«
»Ganz wie es dir beliebt, mein Herr Archimandrit.« Die Stimme des Otterwesens hatte einen ausgesprochenen weiblichen Klang. »Aber du weißt, je länger ich die Versiegelung aufschiebe, desto schwerer wird die Wunde heilen – besonders wenn du weiterhin nicht stillhältst und immerzu versuchst, dich aufzusetzen. Ich habe dich gewarnt, dass es mächtig schmerzt, aber du wolltest ja nicht, dass ich dich betäube.«
Kalt kämpfte kurz mit seiner Schüchternheit und wagte nicht gleich, sich zu äußern. Doch er musste sich des neuen Daseins als Wissenshüter erst noch würdig erweisen, und wenn er gleichzeitig dem ältesten Freund seines Lehrers helfen konnte, dann war er das Grimm schuldig. Er räusperte sich und sprach. »Vielleicht kann ich bei dieser Wunde helfen.«
»Du kannst helfen?« Amaurn starrte ihn schmerzerfüllt und ein wenig gereizt an. »Ich gehe doch davon aus, dass Grimm dir die Geschichte des Schattenbundes erzählt hat?«
»Das tat er, ja, aber …«
»In diesem Fall muss dir bekannt sein, dass wir hier die ärztliche Ausstattung eines Volkes besitzen, das uns an Kenntnissen und Kräften weit überlegen war. Was kann also – nimm es mir nicht übel – der Zauberpriester eines Stammes von Wilden, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist, tun, um es mit solcher Kunstfertigkeit aufzunehmen?«
Kalt biss die Zähne zusammen. »Nun, ich kann gewiss deinen Schmerzen ein Ende machen, ohne dich bewusstlos zu schlagen. Grimm hat jahrelang daran gearbeitet, die Kräfte der Gedankenübertragung dahin auszudehnen, dass wir mit unserem Geist unsere körperlichen Vorgänge und die anderer Menschen beeinflussen können. Wir haben für die Rotten nicht viel tun können
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