Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
– Zauberpriester mögen wir sein, aber die rückständigen Wilden sind nicht bereit etwas zu dulden, was sie für Zauberei halten. Grimm sagte, dass Cergorns Weisungen verboten, was wir taten, daher wussten wir nicht, wie weit wir unser Verfahren treiben konnten. Aber wenn du dich lieber auf die halb verstandenen Hinterlassenschaften eines längst zu Staub zerfallenen Volkes verlassen willst, so steht dir das frei. Es sind deine Schmerzen. Behalte sie, wenn sie dir lieb geworden sind.«
Amaurn öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Offenbar hatte er von einem Neuankömmling eine derart kühne Antwort nicht erwartet. Er erholte sich jedoch schnell von seiner Überraschung. »Was willst du denn mit deinen neuen Künsten eigentlich ausrichten? Und woher weißt du, dass sie wirken?«
Kalt lächelte. »Jetzt kann ich deine Gedanken auffangen, Archimandrit. Du denkst, dass mein Verfahren gut sein muss, da Grimm es erfunden hat – und dass er dir sicher hätte helfen können. Mir dagegen traust du eher zu, dass ich die Sache verpfusche und dich irgendwie verletze.« Er zuckte die Achseln. »Ich fürchte, da kann ich dir nicht helfen. Am Ende kannst nur du entscheiden, ob du dich mir anvertraust oder nicht.«
Der Blick des Archimandriten wurde hart. »Willst du damit sagen, dass ich Angst habe?«
»Ich will sagen, dass ich deine Zweifel verstehe«, antwortete Kalt. »Nachdem du heute deinem Mörder begegnet bist, hast du jedes Recht, auf der Hut zu sein. Ich komme einfach dahergelaufen, stelle unerhörte Behauptungen auf, du kennst mich kaum eine Stunde, und da bitte ich dich, mir zu vertrauen.« Er lächelte schief. »Wenn ich in deiner Haut steckte, würde es mir bestimmt nicht anders gehen.«
»Und du willst dennoch bei deinen Behauptungen bleiben?«
Kalt nickte. »Ich kann dir die Schmerzen nehmen, solange die Heilerin ihr Gerät benutzt, und möglicherweise hilft dir das auch, eine Entzündung abzuwehren, sodass die Heilung ein wenig schneller vonstatten geht. Ich bin nicht so erfahren wie Grimm, aber als sein Freund müsstest du wissen, dass er nicht der Mann war, der Dinge um der Heimlichkeit willen geheim hielt. Er hat mich alles, was er über dieses Heilverfahren wusste, gelehrt – zumindest mit Worten«, fügte er wahrheitsgemäß hinzu. »Vergessen wir nicht, dass er wenig Gelegenheit hatte, seine Erkenntnisse in die Tat umzusetzen.«
Es entstand ein kurzes Schweigen, ehe Amaurn antwortete. »Ich schätze deine Ehrlichkeit, und ich meine, dass die Lehrzeit bei Grimm dich mehr geprägt hat, als du ahnst. Ich erkenne viel von ihm an dir wieder«, sagte er. »Also gut, Kalt, du hast mich überzeugt. Versuchen wir’s.«
»Amaurn, nein! Das ist vollkommen närrisch.«
»Archimandrit, es gibt keinen Grund, solch ein Wagnis einzugehen.«
Maskulu und Kyrre redeten gleichzeitig, aber Amaurn winkte ab. »Er soll es versuchen«, sagte er, und wandte sich wieder an Kalt. »Kümmere dich zuerst um die Schmerzen. Wenn du Erfolg hast, darfst du alles tun, was du für angemessen hältst.«
Kalt schluckte schwer ob der Verantwortung, die der Archimandrit ihm auflud. Dann kam ihm ungewollt das Gesicht des Jungen in den Sinn, dessen Leben er beendet hatte, und zugleich stellte sich ein neues Begreifen ein. Er hatte das Kind nicht retten können, aber was er dabei gelernt hatte, würde ihm jetzt helfen. In der Erinnerung hörte er Grimms Worte: »Ich habe volles Vertrauen zu dir.«
So gewann auch er volles Vertrauen zu sich selbst. »Gut«, sagte er, »fangen wir an.«
Der Überbringer näherte sich Amaurn behutsam, denn er spürte Maskulus wachsamen, missbilligenden Blick. Er kniete sich hin und wollte dem Archimandriten soeben die Hand auf den Kopf legen, als Kyrre neben ihn trat, um ihre Arbeit fortzusetzen. Bei ihr spürte Kalt Neugier, Zweifel und Hoffnung. »Hast du etwas dagegen einzuwenden, wenn ich mich mit deinem Geist verbinde?«, fragte sie. »Ich möchte gern sehen, was du tust. Neue Heilverfahren sind für uns sehr wichtig.«
»Ich würde es sogar begrüßen«, sagte Kalt. »Ich bin meinerseits neugierig auf dein Gerät. Vielleicht können wir uns später darüber austauschen. Ein Gespräch mit einer erfahrenen Heilerin wäre gut für mich.«
»Das würde mir gefallen«, antwortete Kyrre, und er wusste, dass er soeben eine Freundin gewonnen hatte.
Sacht legte er Amaurn die Finger auf die Stirn und drang in Amaurns Geist ein – zumindest war das seine Absicht. Stattdessen stieß er gegen
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