Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Gelina. »Du kommst nicht an ihn heran, Aliana – ich habe es schon versucht. Dieser Gang ist voller Wachen.«
»Ich sehe schon, was sie vorhat, glaube ich«, sagte Aliana finster. »Da wir ihr Geheimnis inzwischen kennen, denkt sie, dass wir eine Gefahr für sie sind. Sobald sie den Ring wiederhat, braucht sie nicht mehr zu fürchten, dass wir sie erpressen könnten. Wenn wir den Leuten aber erzählen würden, dass sie so unvorsichtig war, ihn sofort zu verlieren, würde das immerhin das Vertrauen in sie in einem gewissen Maße untergraben.«
Gelina nickte. »Man wundert sich schon, warum du und Galveron nach draußen musstet und wohin. Du hast Recht, das kleinste Gerücht, dass der Ring verloren gegangen war, würde gewisse Zweifel an ihr aufbringen.«
Aliana presste die Lippen zusammen. »Nun, sie hat ihn nicht – noch nicht. Und wenn sie glaubt, meinen Freunden das antun zu können, dann macht sie einen großen Fehler.«
»Was hast du vor?«
»Keine Sorge, mir ist da etwas eingefallen.« Aliana umarmte die Freundin. »Pass auf dich auf, Gelina, und auch auf die anderen – was immer Gilarra sagt. Du wirst mich eine Weile nicht sehen.« Sie eilte davon, noch ehe Gelina etwas fragen konnte.
Als sie den Raum verließ, war es, als brenne ihr der Hierarchenring ein Loch in die Tasche. Sie hatte einen Plan zu schmieden – und zwar schnell, bevor Gilarra die Zeit fand, nach ihrer Beute zu fragen. Aliana schaute zurück zu Galveron, der sich trotz Kaitas Versuchen, ihn fortzuscheuchen, noch immer bei der kranken Frau aufhielt, so als glaubte er, sie mit seiner eigenen Lebenskraft in der Welt halten zu können.
Verfluchte Gilarra. Dieser Mann sollte unser Führer sein – aber wenn sie den Ring nicht bekommt, kann er vielleicht ihren Platz einnehmen.
Toulac ging in die entgegengesetzte Richtung los. Als sich der Abstand zwischen ihr und Zavahl langsam vergrößerte, merkte sie, wie sie sich entspannte. Obwohl es nicht seine Schuld war, dass er so wenig über die Welt jenseits der Tempelmauern von Tiarond wusste, war er doch nichts anderes als eine Last. Trotzdem bedeutete er an dieser rauen Küste Gesellschaft, und er gab sich Mühe. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem verängstigten, überspannten Wrack von einem Mann, den sie und Veldan vom Scheiterhaufen gerettet hatten. Weit war er seitdem gekommen.
So ist das, wenn man einen Mann hinter Mauern einsperrt und ihn sein Leben lang von vom bis hinten bedient. Wenn einer so verhätschelt wird, wie können wir von ihm erwarten, dass er in der harten, gefährlichen Welt hier draußen zurechtkommt? Alles in allem hielt er sich aber gar nicht schlecht. Für den Fortschritt haben wir wohl dem hübschen Mädel aus der Schenke zu danken. Es ist erstaunlich, wie sehr die Liebe – oder die Lust – einen Mann wachrütteln kann.
Sie gluckste vor sich hin, aber bald schweiften ihre Gedanken zu einem weniger glücklichen Gegenstand ab. Bei Myrial, wie sehr sie Mazal vermisste! Es brach ihr das Herz, dass sie das große graue Schlachtross zurücklassen musste, aber welche Wahl hatte sie denn gehabt? Sie war mit Veldan vor Hauptmann Blank und seinen Gottesschwertern geflohen, und es war um ihr Leben gegangen. Und ganz sicher hatte sie nicht die Zeit gehabt, um umzukehren und einen Gaul zu retten. Aber er hatte ihr seit dem Tag gehört, da er als schlaksiges Fohlen seine Mutter verließ, und seitdem hatte er keine andere Hand gekannt als ihre. Er war für sie mehr als ein nützliches Tier gewesen. Solange sie beide Krieger gewesen waren, hatte er ihr oft das Leben gerettet. Er war ein echter Gefährte. Und alles, was sie an Familie hatte.
Ich frage mich, wo er jetzt ist. Ob er überhaupt noch lebt?
Toulac bezweifelte es. Im Gebirge hatte es nur so von Soldaten gewimmelt. Wenn sie das Pferd nicht hatten gefügig machen können – und er war so abgerichtet gewesen, dass niemand außer ihr ihn reiten konnte –, dann mochten sie ihn sehr wohl geschlachtet und gegessen haben. An einem Pferd war viel Fleisch, und eingedenk des gegenwärtigen Nahrungsmangels, wäre es mehr als willkommen gewesen.
Ich habe ihn in der Scheune angebunden. Ein einfaches Ziel. Sie hatten nichts weiter zu tun brauchen, als ihm einen Armbrustpfeil zwischen die Augen zu schießen. Und selbst wenn sie ihn, wie durch ein Wunder, nicht gefunden haben, ist er einen langsamen und schrecklichen Hungertod gestorben.
Die Tränen brannten ihr in den Augen und flossen über. Sie wischte sie grob
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