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Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie: »Wenn es kein Mittel gibt, den mal'ak Jahve zu zerstören, gibt es dann eine andere Möglichkeit, ihn aufzuhalten?«
    »Schon besser«, erwiderte ihr Vater. »Es gibt tatsächlich eine Möglichkeit. Der mal'ak Jahve muß zurückgerufen werden. Hat er keinen Auftrag mehr, wird er sich sofort aus der Menschenwelt entfernen.«
    »Aber das kann nur Gott vollbringen«, widersprach sie enttäuscht. »Nicht Gott«, sagte die Stimme ihres Vaters. »Eine Sefira.«
    »Was ist eine Sefira?«
    »Gott selbst ist allem unähnlich, was dem Menschen bekannt ist. Die einen sagen, man kann ihn nur beschreiben, indem man sagt, was er nicht ist. Die anderen aber vergleichen ihn mit einem reinen Verstand, der sich niemals ändert und nur unendliche Gedanken über sich selbst denkt. Und doch muß es etwas geben, das die Welt geschaffen hat, das sie regiert und zu dem die Menschen beten. Dies sind die zehn Schöpfungsaspekte Gottes, die Sefirot. Sie sind die Brücke zwischen dem unendlichen Gott und der endlichen Welt, sie schaffen die Verbindung zwischen Mensch und Gott. Sie sind der Gegenstand aller Gebete, nicht Gott selbst, denn nur sie vermögen zu handeln, zu schaffen, zu vernichten. Die Sefirot, nicht Gott, sind der Allmächtige in den Büchern der Bibel, den Evangelien, der Thora und allen anderen Schriften.«
    Sarai bemerkte verwundert, daß sie auf dieser Ebene eine ungeheure Auffassungsgabe besaß. Sie hörte – und verstand. »In den zehn Sefirot hat die Macht Gottes Gestalt angenommen.«
    »Ja«, erwiderte ihr Vater. »Die Sefirot sind Gottes Hände und gebieten über all seine Schöpfungen. Jedeeinzelne Sefira hat ihre besondere Aufgabe. Und eine, die niedrigste der zehn - Malchut, die Königsmacht -, ist für das Wirken der Engel verantwortlich.«»So läge es also an dieser ... Malchut, den mal'ak Jahve zurückzurufen?«
    »So ist es.«
    »Was könnte sie dazu bewegen?«
    Die Stimme ihres Vaters schwieg einen Moment, und das Raunen der Seelen wurde lauter und erregter. Es schien, als berieten sie sich miteinander.
    Schließlich sagte ihr Vater: »Nur eine Fürbitte könnte Malchut überzeugen, den mal'ak Jahve zurückzuhalten.«
    »Eine Fürbitte von wem?«
    »Keine, zu der ein Mensch imstande wäre.«
    Sarai starrte verärgert in die Flammen des Dornbuschs. »Weshalb gibst du mir all diese Ratschläge, wenn ich sie nicht nutzen kann?« »Keine Ratschläge«, kam sogleich der Widerspruch aus dem Feuer. »Nur Antworten.«
    »Aber wie können mir Antworten helfen, wenn ich sie nicht befolgen kann?« Zorn stieg in ihr auf, nicht nur auf die Neschamot in den brennenden Büschen, auch auf ihre eigene Unfähigkeit. Sollte sie ihre Seele so leichtfertig verspielt haben, ohne einen brauchbaren Gegenwert zu erhalten?
    »Es gibt jemanden, der soweit über den Menschen steht, daß seine Fürbitte die Sefira Malchut erreicht«, erklärte ihr Vater.
    »Wer?«
    »Malchut, die niedrigste unter den Sefirot und Herrin der Engel, hat zu Anbeginn der Zeit einen Teil ihrer selbst in die Menschenwelt entsandt. Dieser Teil nennt sich Schechina, die göttliche Gegenwart auf Erden. Schechina ist Gottes Tochter, die er der Welt zur Gemahlin gab.«
    »Ich muß die Schechina aufsuchen, damit sie bei Malchut um Schonung für die Menschen bittet?« fragte Sarai, nun doch ein wenig verwirrt angesichts der verschlungenen Bahnen, die die Antworten ihres Vatersnahmen.
    »Es ist der einzige Weg, Malchut zu bewegen, dem Treiben des mal'ak Jahve ein Ende zu bereiten.«
    »Wird die Schechina diesen Wunsch erfüllen?«
    »Wer weiß?« entgegnete die Stimme. »Und wer weiß, ob Malchut sich von ihr überzeugen läßt. Und doch ist es der einzige Weg, den du gehen kannst.«
    »Wo finde ich die Schechina?«
    »Sie ist unter den Menschen, überall und immerdar, und einer ihrer Körper ist ganz in deiner Nähe.«
    »Sag mir, wo genau.«
    »In einer Stadt. In einem Haus. In deiner Stadt, Sarai. Und in einem ganz besonderen Haus.«
    »Ist das ein Zufall?« »Die Schechina hat viele Gestalten, und wer sie sucht,
    der findet sie überall. In jedem Land, in jeder Stadt. Die wenigsten aber suchen nach ihr. Sie beten sie an, sie sprechen zu ihr, doch niemand macht den Versuch, ihr körperlich zu begegnen, außer vielleicht die Mystiker.«
    »Was für ein Haus ist das, in dem ich die Schechina finden kann?«
    »Ein Palast, mitten in der Stadt. Er hat so viele Flure wie ein Bienenstock Waben, und daran grenzen ebenso viele Kammern. Du kennst ihn.«
    »Palais

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