Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
den Rest des Tages humpeln würde. Trotzdem versuchte er es ein letztes mal. Er holte aus - und die Tür ging auf, bevor sein Fuß das Holz berührte.
    Sein Schwung trug ihn vorwärts ins Innere, er stolperte und fiel beinahe zu Boden. Hinter ihm wurde die Tür wieder zugeschlagen, genau in jenem Moment, als die Söldner um die Ecke bogen und nur noch eine menschenleere Straße vorfanden.
    »Bittschän«, sagte die Stimme hinter ihm, während Lucius sich fing und den Oberkörper straffte. »Mißt mir ja nich gleich die Tir einträten.«
    Lucius drehte sich um und sah einen Mann im mittleren Alter, kaum halb so groß wie er selbst, mit riesigem, spärlich behaartem Kopf. Der Zwergenwüchsige musterte ihn von oben bis unten. »Nu denn, was wollt's so Wichtges, daß Ihr hier mit solchem Geteese Einlaß begährt?«
    Einen Moment lang erwog Lucius, den Zwerg Gehorsam zu lehren. Er hatte die Faust schon geballt, hielt sich dann aber zurück. Man konnte dem kleinen Mann sein Mißtrauen in solchen Zeiten schwerlich übelnehmen.
    »Nu?« fragte der Zwerg noch einmal.
    »Bist du der Schlächter?« wollte Lucius wissen und sah sich dabei um. Er stand in einem schmalen Flur, der zum Großteil von einer steilen Holztreppe ins obere Stockwerk eingenommen wurde. Ein seltsamer Geruch hing in der Luft.
    Blut, dachte er, es stinkt nach Blut und rohem Fleisch.
    »Na, iberhaupt nich«, entgegnete der Mann und schüttelte seinen riesigen Kopf. »Freilich ist's mein Sohn, dän Ihr sucht. Wes hat er'n g'tan?«
    »Ich will mit ihm sprechen.«
    »Des dirft schwär wärd'n. Aber, bittschän, kommt's mit mir mit.«
    Der Zwerg führte Lucius an der Treppe vorbei zu einer schmalen Tür am Ende des Flurs. Dahinter lag ein weiterer Gang, der sich nach einigen Schritten zu einemausgebauten Schuppen öffnete. An Eisenhaken baumelten Rinderhälften. Blut tropfte auf ausgestreute Asche. Der Gestank war entsetzlich, aber Lucius hatte schon weit Schlimmeres erlebt. Ganz Prag roch seit zwei Tagen nach Tod und Leichenfäule.
    Auf der anderen Seite des Raumes stand ein riesiger Kerl und wandte ihnen den Rücken zu. Seine rechte Hand hielt ein langes Schlachtermesser, das er wieder und wieder hob und senkte. Bei jedem Ausholen spritzte ein Blutstropfen auf sein Wams, die rechte Schulter war schon völlig durchnäßt. Stets wenn das Messer herabraste, ertönte ein klatschender Laut.
    »Ho, Sohn«, sagte der Zwerg, »ein Gardist is da fir dich!«
    Die Klinge zuckte ungerührt hinauf und hinunter. Die Schultern des Schlächters waren nahezu doppelt so breit wie die von Lucius. Ein käferförmiger Schweißfleckprangte riesig auf seinem Rücken. Das schwarze Haar an seinem Hinterkopf glänzte.
    Sie gingen näher auf ihn zu.
    »Sohn!« rief der kleine Mann noch einmal. »Besuch fir dich.«
    Ein letztesmal sauste das Messer herab und krachte lautstark in berstende Knochen. Dann drehte der Schlächter sich um.
    Er hatte ein rundes, rosiges Gesicht und war viel jünger, als Lucius erwartet hatte. Seine weichen Züge wirkten beinahe kindlich und wollten keineswegs zu dem gewaltigen Körper passen. Lucius glaubte erst, er sei schwachsinnig, doch ein ernster Blick aus den winzigen Augen belehrte ihn eines Besseren.
    »Mißt wissen, Sohn kann nich sprächen«, erklärte der Zwerg. »Sprächt nur mit denen Heenden.« Dabei fuchtelte der Kleine mit seinen eigenen Fingern vor Lucius' Gesicht herum, bis dieser wohlwollend nickte.
    »Dann mußt du für mich übersetzen«, gebot er dem Zwerg.
    »Werd mir gräßte Miehe gäben.«
    Der Schlächter hielt das lange Messer noch immer in der rechten Hand. Die Linke hatte er zur Faust geschlossen. Zwischen Daumen und Zeigefinger schaute ein kleiner Sperlingskopf hervor, der flink hin- und herblickte. Ein aufgeregtes Zwitschern drang aus dem winzigen Schnabel.
    »Was tut er mit dem Vogel?« fragte Lucius den Zwerg. »Leßt ihn in seiner Hand wohnen. Veeglein fihlt sich wohl bei ihm. Immer, wenn Sohn arbeitet, nimmt er Veeglein in die Hand, ganz sanft. Er sagt, das gibt ihm's rechte G'fihl firs Fleischhacken. Er schlagt dann nicht so fest zu, als wenn's Veeglein nicht in seiner Hand sitzen tat.«
    Seltsam berührt starrte Lucius noch einige Herzschläge länger auf das zarte Tierchen, das sich vertrauensselig in die gewaltige Pranke des Riesen schmiegte. Es zirpte und pfiff und rieb das kleine Köpfchen an den Fingern des Schlächters.
    »Es wird eine Weile dauern«, sagte Lucius schließlich.
    Der große Kerl nickte.
    »Du kannst den

Weitere Kostenlose Bücher