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Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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blickte forschend in den Abgrund.
    Drei Stockwerke tiefer, am Grunde des Hofes, entdeckte sie einen schmalen Durchgang, der auf eine der anliegenden Gassen führen mußte. Ihm gegenüber, an der Wand zu ihrer Linken, befand sich ein zweiflügeliges Tor, das mit allerlei Malereien verziert war. Darüber stand auf einem Schild in roten Lettern ein verschnörkelter Schriftzug, den sie aus der Entfernung nicht entziffern konnte.
    Die wenigen Fenster in den rotbraunen Wänden des Hofes waren finster und schmutzig. Nichts regte sich, nur ein schwarzer Kater glitt unweit von Sarai über die Balustrade und starrte sie mit glänzenden Augen an.
    Sie löste sich vom Geländer und ging den Rundgang entlang, bis sie zu einer Tür kam. Sie war geschlossen, aber nicht versperrt. Dahinter lag ein düsteres Treppenhaus. Sarai horchte hinein und vernahm keinen Laut.
    Langsam schlich sie die Stufen hinunter, bemüht, keinen Laut zu verursachen. Alle Gänge, die in das Treppenhaus mündeten, waren ohne Zeichen von Leben. Die Türen einiger Quartiere standen offen, aber Sarai fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, hineinzusehen, deshalb ließ sie es bleiben.
    Schließlich gelangte sie ins Erdgeschoß und trat durch eine morsche Holztür auf den engen Innenhof. Er lag in einem seltsamen Dämmerschlaf, die hohen Wände schienen das Tageslicht aufzusaugen, bevor es den Boden des Schachtes erreichen konnte. Sarai blieb zögernd im Türrahmen stehen und betrachtete das bemalte Tor. Es zeigte eigenwillige Darstellungen von verzerrten
    Teufelsgestalten mit überlangen Armen und Beinen, tanzend, tobend, balgend. Einige hingen schlaff in den Krallen ihrer Teufelsbrüder. Die gesamte Malerei war in dunklen Blautönen gehalten, doch bei genauerem Hinsehen erkannte Sarai, daß hinter den grotesken Dämonenfiguren finstere Gestalten standen, schwarze Umrisse, die das Treiben zu beobachten schienen.
    Nun konnte Sarai auch den Schriftzug auf dem Schild über dem Tor entziffern. Tatsächlich waren es zwei, oben ein kleinerer und darunter ein großer in fetten Buchstaben:
     
    Leander Nadeltanz'
    SCHATTENTHEATER
     
    Schattentheater. Sarai wußte nicht, was sie davon halten sollte. Die merkwürdigen Malereien machten ihr keine Angst, doch die Schrift darüber flößte ihr kaltes Grauen ein. Als sie sich noch einmal im Hof umsah, bemerkte sie, daß der Durchgang zur Gasse mit Brettern vernagelt war. Einen anderen Ausgang gab es nicht, nur die schmale Holztür, durch die sie gekommen war. Und das Tor des unheimlichen Theaters.
    Sarai rief sich zur Ruhe. >Schatten< war nur ein Begriff wie jeder andere. Es mußte nichts zu bedeuten haben, daß sie hier darüber stolperte.
    Aber ihre Unruhe blieb. Wer war dieser Leander Nadeltanz? Ein seltsamer Name, fand sie. Vor allem aber: Wo war er? Das Haus war verlassen, das Theater offenbar ebenfalls, denn der Tunnel zur Gasse war für Gäste versperrt.
    Sie beschloß, sich keine weiteren Gedanken darüber zu machen und zurück aufs Dach zu steigen. Die Vorstellung aber, erneut das leere Haus zu betreten, schien ihr plötzlich entsetzlich. Und doch gab es keinen anderen Weg nach draußen. Jetzt verfluchte sie sich dafür, überhaupt hierhergekommen zu sein. Kaum dem einen Unheil auf dem Hradschin entflohen, hatte sie sich kopfüber ins nächste gestürzt.
    Sarai machte sich auf - aber sie kam genau bis zur Tür. Dann sagte hinter ihr eine Stimme: »Willkommen, junges Fräulein, herzlich willkommen!«
    Überrascht drehte sich Sarai um. Als sie den Mann sah, wußte sie gleich, wer er war. Sein Äußeres war so sonderbar wie sein Name.
    »Gestatten«, sagte er freundlich und zog seinen Hut, »Nadeltanz, Spielmeister Leander Nadeltanz.«
    Er war alt, keinesfalls jünger als Cassius. Doch im Gegensatz zu dem Alchimisten hielt sich Nadeltanz so steif wie der Stock, den er in seiner Rechten hielt. Seine Glieder waren mager, fast fleischlos, und in Sarais Geist entstand ein merkwürdiges Bild: Nadeltanz, wie er mit ausgebreiteten Armen auf einer Hügelkuppe stand, während der Herbstwind ihm die Haut von den Knochen wehte wie altes Laub von einem Baum.
    Denn wie ein kahler Baum sah er wahrlich aus, angefangen von seinen dürren Armen und Beinen bis zur rissigen Borkenhaut auf Händen und Gesicht. Er trug eng anliegende Kleidung, seltsam farblos, wie ausgebleicht. Um seine Schultern lag ein blauer Umhang, der bis zum Boden reichte und mit kindischen Sternen und Mondgesichtern bestickt war.
    »Dir seid wegen der Vorstellung

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