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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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er nicht mitbekommen. Auf dem Spiegelbild im Fensterglas erblickte er einen Mann und eine Frau beim Tee.
    Mit der Verzögerung einer Sekunde wurde ihm bewusst, dass es sich um Imke handelte und um ihn selbst. Und dass sie auf dem Präsentierteller saßen! Flaches, dunkles Land. Und mitten in der Einsamkeit, mitten in der stummen Dunkelheit ein altes Haus mit sorglos erleuchteten Fenstern und einem riesigen Wintergarten.
    Betont lässig legte Bert alles zusammen und schob es in die Klarsichthülle zurück. Er sah auf seine Armbanduhr.
    »Warum schickt er mir das?«, fragte Imke, als wollte sie ihn noch eine Weile hier halten. »Was will er mir damit sagen?«
    Bert dachte an das Telefongespräch, das sie dermaßen aus der Fassung gebracht hatte. »Er will Sie kennenlernen.«
    »Auf diese Weise? Indem er mir Angst macht?«
    »Er möchte Sie kennenlernen und gleichzeitig kontrollieren. Er will die Fäden in der Hand behalten.«
    »Das ist absurd. Er könnte mich nach einer Lesung ansprechen, mir eine E-Mail schicken, aber er kann doch nicht …« Sie rieb sich die Arme.
    »Passiert es häufiger, dass ein Leser Ihre Anschrift herausfindet?«, fragte Bert.
    »Das ist doch keine Kunst, vor allem seit es das Internet gibt. In einer halben Stunde beschaffe ich Ihnen jede Adresse, die Sie haben wollen.«
    Sie hatte recht. Niemand wusste das besser als Bert, dessen Ermittlungserfolge zum großen Teil von seiner Fähigkeit abhängig waren, möglichst schnell an möglichst umfassende Informationen aller Art zu gelangen.
    »Und suchen Fans öfter direkten Kontakt zu Ihnen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das kommt eigentlich selten vor.«
    »Ich würde das gern mitnehmen.« Bert hob die Unterlagen auf. »Um alles noch mal gründlich durchzusehen.«
    Das war nur eine Seite der Wahrheit. Ihm war vor allem daran gelegen, diese Papiere aus Imke Thalheims Leben zu entfernen. Vielleicht war es bloß ein Strohfeuer gewesen. Vielleicht verlor der Typ gleich wieder die Lust daran, ihr nachzustellen.
    Das glaubst du doch selbst nicht, dachte er. Du weißt doch genau, dass du den Anfang einer hässlichen, gefährlichen Geschichte in den Händen hältst.
    »Selbstverständlich.« Sie wirkte wieder selbstbewusst, lächelte sogar. Wie konnte er ihr nahelegen, vorsichtig zu sein, ohne ihre Angst erneut aufflammen zu lassen?
    Er bedankte sich für den Tee und Imke Thalheim begleitete ihn zur Tür. Als sie sie öffnete, flatterte ein Nachtfalter herein. Der erste in diesem Jahr. Beide schauten ihm nach, wie er seine Schleifen durch die Halle zog, dann reichte Imke Bert die Hand.
    Sie war eiskalt, und Bert hätte sie gern an seine Brust gedrückt, um sie zu wärmen. Er musterte Imkes Gesicht, das immer noch ein wenig zu blass war. Ihre Lippen waren matt  und ungeschminkt. Er sah die Zähne dahinter schimmern. Die Härchen auf ihren Wangen waren wie Pfirsichflaum.
    Abrupt ließ er ihre Hand los.
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagte er brüsk und trat einen Schritt zurück. »Aber ein bisschen Vorsicht kann nicht schaden.«
    »Vorsicht?«
    »Lassen Sie die Rollos herunter, wenn es draußen dunkel wird. Zum Beispiel.«
    Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht mit dem Zorn, der in ihren Augen aufblitzte.
    »Und was noch? Nicht allein im Haus bleiben? Nachts die Türen und Fenster verrammeln? Nach Mitternacht nicht mehr ans Telefon gehen? Keine Interviews mehr geben? Bei Lesungen keine persönlichen Fragen mehr beantworten? Keine fremden Handwerker hereinlassen?«
    Sie stand jetzt im Innern des Hauses und Bert stand draußen. Er hatte den Eindruck, sie hätte ihm am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen, und er verstand sie nur zu gut. »Geben Sie auf sich acht«, sagte er. »Das ist alles, worum ich Sie bitte.«
    Ihr Lächeln wirkte angestrengt und distanziert, aber Bert war noch nicht fertig. »Sind Sie allein im Haus?«
    Sie nickte.
    »Vielleicht sollten Sie diese Nacht tatsächlich lieber woanders verbringen.«
    Er hatte das Gelände zwar durchsucht, aber er war sich nicht sicher, ob er nicht etwas übersehen hatte. Die Sträucher waren noch mehr oder weniger kahl, aber dazwischen wuchsen immergrüne Gehölze, die einem Eindringling hundertprozentigen Schutz boten.
    »Ich denke nicht im Traum daran.«
    Von ihrer anfänglichen Furcht war nichts mehr zu spüren.  Imke Thalheim war nicht die Frau, die sich einschüchtern ließ. Sie würde mit Zähnen und Klauen um ihre Freiheit kämpfen und sie nicht von einem Mann einschränken

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