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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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schmutziges Tuch gehüllten Gegenstand nach oben trugen. Sie drängten sich ächzend und keuchend an Lily vorbei, erreichten den Fußweg und legten ihre Last vorsichtig mit einem dumpfen Schlag ab, der Sascha ein komisches Gefühl im Bauch bereitete.
    Sascha setzte wieder seinen Fuß auf die Treppe und wurde wieder abgehalten, diesmal durch eine Stimme, die er augenblicklich und an jedem Ort der Welt wiedererkannt hätte.
    »Ja wie, mein lieber
Mr Kessler
. Sie wollen doch nicht schon gehen, wo ich mir solche Mühe gegeben habe, ein vertrauliches Gespräch mit Ihnen zu arrangieren?«
    Sascha drehte sich um und fand sich einem grinsenden J. P. Morgaunt gegenüber.
    »Wolf sucht nach Ihnen«, informierte Sascha den Finanzmagier trocken.
    »Daran besteht kein Zweifel«, erwiderte Morgaunt lachend, was bei jedem anderen Mann humorig gewirkt hätte. »Offen gestanden, Wolf und ich haben uns schon alles gesagt. Die Nonnen haben ihn verdorben.
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen
! Hat jemand einen Augenblick darüber nachgedacht, was für eine Katastrophe das gäbe? Züge würden nie wieder pünktlich sein und uns allen wäre der Hungertod binnen eines Jahres sicher. Aber das brauche ich dir, Sascha, ja nicht zu erläutern. Du magst sanftmütig handeln, aber wenn es darauf ankommt, bist du ein Löwe.« Die Hand, mit der Morgaunt Sascha freundlich vor die Brust stieß, besaß die Wucht einer Arbeiterhand, trotz sorgfältiger Maniküre und goldener Manschettenknöpfe. »Und deine Schwester, mit den schönen schwarzen Augen, ist eine wahre Tigerin!«
    Sascha erbleichte.
    »Aber ja, ich weiß alles über sie!«, lachte Morgaunt wieder. »Und wenn du meinen Rat willst, sorg dafür, dass sie sich aus dem Affentheater um den Streik raushält.«
    »Warum geben Sie ihnen nicht einfach, was sie fordern?«, fragte Sascha ohne viel Hoffnung auf Erfolg.
    Morgaunt schaute ihn fast so mitleidig an wie Beka, als er ihr die gleiche Frage gestellt hatte. »Weil es billiger ist, kräftige junge Männer mit begrenztem Verstand anzuheuern, die die Streikenden verdreschen, bis diese wieder an ihre Arbeit gehen. Wie ein geschätzter Kollege von der Wall Street einmal richtig sagte: Wir können die Hälfte der Arbeiterklasse dafür bezahlen, die andere Hälfte zu erschießen.« Er zwinkerte Sascha gut gelaunt zu. »Und da die menschliche Natur nun einmal so ist, brauchen wir die andere Hälfte manchmal gar nicht zu bezahlen.« Sascha hätte gern widersprochen. Aber Morgaunt hatte wie immer recht.
    Der Großunternehmer wollte weitersprechen, als plötzlich ein herzzerreißender Schrei die Luft um sie herum zerriss.
    Sascha stürmte los und sah, dass das Tuch über dem Bündel, das die Arbeiter aus der Baugrube geborgen hatten, weggezogen worden war. Es waren keine Kabel oder Werkzeuge, die man von unten wieder ans Licht gebracht hatte, es war ein Junge, kaum älter als Sascha. Er war tot.
    Während Sascha noch dastand und schaute, kam eine Frau von der Straße herübergelaufen. Nach dem Ausdruck des nackten Entsetzens auf ihrem Gesicht musste sie die Mutter des Jungen sein. Sie warf sich über die Leiche und zerkratzte sich das Gesicht mit den Fingernägeln. Ihre Klagerufe schnitten Sascha ins Herz wie der Schrei eines sterbenden Tiers. Instinktiv trat er einige Schritte zurück.
    Aus der Gruppe der Zuschauer packte einer die Frau, zog sie von der Leiche ihres Sohnes fort und fesselte ihr mit einem Putzlappen die Hände, damit sie sich nicht länger selbst verletzte. Vor wenigen Augenblicken noch war sie eine junge Mutter in der Blüte ihrer Jahre gewesen. Nun stand sie als alte, gebrochene Frau vor der Leiche ihres Sohnes.
    »Schau sie dir an«, sagte Morgaunt und wandte sich an Sascha, der ihn ganz vergessen hatte. »Sie ist ein Wesen aus einer vergangenen Epoche.«
    Sascha kehrte Morgaunt den Rücken zu.
    »Oh, du solltest dich mir nicht verschließen«, sagte Morgaunt. »Und vor allem solltest du Wolf nicht trauen. Menschen, die meinen, sie kämpften auf der Seite der Engel, sind immer gefährlich. Darin unterscheide ich mich von Wolf. Ich bin Geschäftsmann, ein praktisch veranlagter Mensch, der die Welt gern in vernünftigen, geordneten und profitablen Bahnen sieht. Ich weiß Treue zu schätzen und angemessen zu belohnen. Wohingegen Wolf bereit ist, für seine Ideale alles und jeden zu opfern – Sascha Kessler eingeschlossen.«
    »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Sascha beharrlich, obwohl er diesmal ein wenig

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