Der Schattenjäger (German Edition)
wird, deshalb führt er sie in Versuchung, um Gewissheit zu haben. Das hat nichts mit dir zu tun, nimm es also nicht persönlich. Er ist rücksichtslos, aber nur zu sich selbst und nie zu anderen. Er würde jederzeit sein Leben geben, um deines zu retten.« Sie verzog das Gesicht. »Und gleich danach reißt er einen nichtigen Streit mit dir vom Zaun und zieht beleidigt von dannen, nur damit er deine Dankbarkeit nicht annehmen muss.«
Was sie sagte, entsprach so ganz Wolfs Verhalten, dass Sascha lachen musste.
»Er versucht bereits, mich zu schützen«, sagte er zu Shen. »Oder mir zu helfen, mich selber zu schützen. Er möchte, dass ich zaubern lerne.«
»Ich weiß. Er liegt mir deswegen schon seit Monaten in den Ohren. Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob du reif dafür bist.«
»Was soll das heißen?«, fragte Sascha, leicht angegriffen durch Shens Worte. Dass er selbst es ablehnte, zaubern zu lernen, war das eine, dass Shen aber entschied, er sei noch zu jung, das gefiel ihm nicht.
Statt zu antworten, zuckte Shen nur mit den Schultern. Sie nahm wieder den Wassereimer und ging damit schwankend zur Wasserstelle. Dort goss sie das Schmutzwasser in den Ausguss, drehte den quietschenden Wasserhahn auf und spülte den Eimer aus. Dann stellte sie ihn, den Boden nach oben, in einem bestimmten Winkel gegen die Pumpe.
»Ich wollte nicht unhöflich sein«, entschuldigte er sich. »Aber warum sollte ich bitte nicht zaubern lernen?«
»Ich dachte, du wolltest es gar nicht«, sagte Shen mit einem geisterhaften Lächeln auf den Lippen.
»Ich will ja auch nicht, aber –«
»Aber du möchtest, dass ich dir bestätige, dass du reif dazu bist.«
Sascha errötete.
»Ich weiß nicht, ob du so weit bist oder nicht. Diese Frage kannst nur du selbst beantworten. Und wenn du dir nicht sicher bist, kennst du wahrscheinlich die Antwort.«
»Woher wusste Wolf, dass er reif war?«
Shen sah plötzlich überrascht und beunruhigt aus. »Was hat er dir erzählt?«
»Nur, dass dein Ehemann sein erster Lehrer war. Daher dachte ich, du wüsstest vielleicht …«
Shen schwieg, dann sagte sie mit einer bewusst neutralen Stimme, die keine Gefühle verriet: »Wolf ist nicht zu meinem Mann gekommen, um Magie zu erlernen. Im Gegenteil, er wollte wissen, wie man auf sie verzichten kann.«
»Aber warum?«
»Er hat ein Gebäude niedergebrannt. Und deshalb wollte er alles tun, damit ihm so etwas nicht noch einmal passiert.«
»War es ein Unfall?«
»Ja«, sagte sie, ohne ihn anzuschauen. »Ein sehr schlimmer.«
»Ist jemand ums Leben gekommen?«, wollte Sascha wissen. Doch er kannte die Antwort, seit Shen mit dieser tonlosen Stimme sprach. »Ist er deshalb Inquisitor geworden? Damit so etwas nicht wieder geschieht? Oder fühlte er sich schuldig?«
»Du solltest wirklich mit Wolf reden, Sascha. Schließlich ist das seine Geschichte. Er hat seit vielen Jahren nicht mehr mit mir darüber gesprochen, möglicherweise ist er heute zu einer ganz anderen Auffassung gekommen als damals. Es wäre nicht gut, wenn ich an seiner Stelle spreche.«
»Warum sprichst du dann überhaupt mit mir darüber?«
»Weil
er
es dir hätte erklären sollen. Du musst lernen, wie gefährlich Magie sein kann. Dir muss bewusst sein, dass sie in dir den törichten Glauben weckt, dass du alles steuern kannst, wenn du einmal in den Lauf der Welt eingreifst.«
»Meinst du, ich wüsste das nicht, nach allem, was in Coney Island passiert ist?«
»Wolf ist es jedenfalls nicht bewusst, da bin ich sicher. Er ist ein guter Mensch, ein sehr guter. Manchmal meine ich sogar, er ist der beste Mensch, dem ich je begegnet bin. Aber das heißt nicht, dass er ungefährlich ist.«
»Willst du deswegen nicht mit ihm zusammenarbeiten? Und hast ihm deswegen gesagt, du wolltest Lily und mir keinen Unterricht geben, als er uns zum ersten Mal hierherbrachte? Aber warum hast du dann deine Meinung geändert, Shen? Am ersten Tag hast du mich so seltsam angesehen. Was hast du damals an mir bemerkt? Hast du befürchtet, dass ich ohne deinen Unterricht zur Gefahr werden könnte?«
Shen wollte ihm antworten, und Sascha war sicher, dass sich das Dunkel, in dem er seit dem Beginn seiner Lehrzeit umhergetappt war, gelichtet hätte, wenn nicht Lilys Stimme in der frostkalten Luft erklungen wäre.
»Was mauschelt ihr beiden denn da?«, rief sie ihnen zu, als sie in den Hof trat. »Und wann geht es endlich los? Wir müssen um elf Uhr oben in der Stadt sein, hast du das vergessen?«
Shen schien
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