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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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wie unaufmerksam kann ein Mensch sein?«
    Sascha wollte schon mit ihr streiten, doch dann ließ er es, denn er wusste nicht, womit er anfangen sollte.
    Wolf sprang die letzten Stufen zu Morgaunts Palast hinauf, öffnete die schwere Tür, als wäre sie federleicht, und schlenderte so selbstverständlich in die Eingangshalle, als würde er in sein eigenes Büro gehen. Lily eilte hinterher, griff nach der Tür, ehe sie wieder zufiel. Sie zeigte mit Verwunderung und Schrecken auf das Schloss: Es hing schief aus der Tür heraus und der Rahmen war aufgesplittert, als hätte Wolf das Schloss aufgesprengt.
    Ein schwarz gekleideter Butler trat Wolf in den Weg, ehe er die Bibliothek erreicht hatte.
    »Sir, Sie können da jetzt nicht –«
    Wolf ließ sich nicht aufhalten. »Ich bin sicher, dass Mr Morgaunt über meinen Besuch erfreut sein wird«, sagte er.
    »Aber Mr Morgaunt ist gar nicht zu Hause.«
    »Das macht nichts«, sagte Wolf und stieß die große Bronzetür zu J. P. Morgaunts berühmter Bibliothek auf. »Ich warte hier auf ihn.«
    Sascha war zwar schon einmal in der Bibliothek gewesen, aber er fühlte sich unwohl beim Anblick der turmhohen, gotischen Gewölbe und den spinnenwebartigen, schmiedeeisernen Balkonen. Wolf setzte sich in einen der beiden Sessel vor dem großen Marmorkamin, während Sascha und Lily verlegen danebenstanden und nicht wussten, wohin mit sich. Sascha ließ den Blick über die Regale wandern. Wer kannte all die Geheimnisse, die in diesen Büchern schlummerten? Vielleicht fanden sich hier die Antworten auf viele der geheimnisvollen Fragen, die Rabbi Kessler und seine Studenten in der kleinen Schul in der Canal Street diskutierten. Vielleicht sogar die Antwort auf das Geheimnis, über das Sascha schon viele Nächte lang grübelte. Morgaunt musste die Zaubersprüche, die Saschas Dibbuk zum Leben erweckt hatten, in einem dieser Werke gefunden haben. Wenn es Sascha gelänge, allein in die Bibliothek einzudringen – und sei es auch nur für eine halbe Stunde –, könnte er vielleicht das richtige Buch finden und die Kreatur mit einem Gegenzauber wieder in die Finsternis verbannen, ganz gleich, wie sein Großvater darüber dachte.
    Ohne sich bewusst zu sein, was er tat, näherte Sascha sich den bleigefassten Glasscheiben des nächsten Bücherschranks. Das Glas schimmerte wie Bernstein. Es war ein Zauber eingewoben, den Sascha noch nicht kannte, der die Magie innerhalb der Bücherschränke hielt. Sascha lugte durch das Glas und sah trotz des zauberdämpfenden Banns die in den Büchern schlummernde Magie. Manche Bücher waren lediglich stumm und bescheiden. Aber andere pulsierten vor Energie. Sie schienen ihn zu rufen, ja anzuflehen, sie aus dem Regal zu nehmen und zu lesen, damit ihre Wörter durch ihn zum Leben erweckt würden.
    Er griff nach dem Knauf der Glastür.
    »He!«, schrie der Bücherschrank auf. »Nimm deine kleinen schmutzigen Finger weg!«
    »Hüte dich vor diesem Bücherschrank«, mahnte ihn eine amüsierte, sinnliche Stimme, die vom Eingang der Bibliothek kam. »Er hat ein aufgeblasenes Ego und schlechte Manieren.«
    Sascha drehte sich um, das Gesicht feuerrot, und erkannte Morgaunts Bibliothekarin. Sie stand in der Tür und lachte.
    Bella da Serpa gehörte zu den New Yorkerinnen, über die am meisten geredet wurde. Gerüchte aller Art waren über sie im Umlauf, so zum Beispiel über ihre Beziehung zu J. P. Morgaunt, über die Freundschaften, die sie zu berühmten Söhnen der großen europäischen Magierdynastien unterhielt, und nicht zuletzt über ihren Vater – den geheimnisvollen Graf da Serpa, einen portugiesischen Adligen, von dem seit Jahren gesprochen wurde, den aber niemand jemals gesehen hatte.
    Doch all diese Gerüchte waren nicht annähernd so interessant wie Bella da Serpa selbst. Sie war eine hochgewachsene, elegante Frau mit südländischem Teint und schwarzem Haar, das sie stets streng nach hinten gekämmt trug. Jede andere Frau hätte verhärmt und streng ausgesehen, nicht so Bella. Ihr Modegeschmack war legendär, ihr trockener Humor und ihr beinharter Geschäftssinn nicht weniger.
    Das Gerücht besagte, Bella da Serpa sei das künstlerische Genie hinter Morgaunts weltberühmter Sammlung magischer Manuskripte. Sascha fragte sich unwillkürlich, wie viele dunkle Geheimnisse über Morgaunts New Yorker Pläne sie wohl verraten könnte. Doch in ihren schönen Gesichtszügen und dunklen Augen deutete nichts darauf hin, dass sie Wolf bei seinen Ermittlungen helfen

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