Der Schattenjäger (German Edition)
weil es schön gewesen wäre, Morgaunt sein höhnisches Grinsen abzugewöhnen, sondern auch, weil Meyer Minsky und Magic Inc. neben Zauberei gerne Schusswaffen und Schlagringe verwendeten. Sollte Morgaunt die Gangster also wirklich anheuern, um den Streik niederzuschlagen, dann musste jemand Beka und die anderen wehrlosen Mädchen vor ihnen schützen.
Sascha wusste nicht, wann es dazu kommen könnte und was von den Inquisitoren erwartet würde. In der Inquisitionsabteilung wurde aber seit Wochen über den Streik gemunkelt. Bürgermeister Mobbs hatte schon angekündigt, er werde die Polizei einschalten, um »für Frieden zu sorgen«, falls Morgaunt und die IMW sich nicht einigen sollten. Beka und Onkel Mordechai hatten schon zynisch kommentiert, dass »für Frieden sorgen« wohl hieße, die Polizei würde beim magischen Unwesen von Minskys Leuten wegschauen und jeden Streikenden, der einen Schutzzauber murmelte, sofort verhaften. Doch so oder so, Sascha würde auf jeden Fall da sein, wenn der Streik losging und ein paar von Shens Tricks an dem ersten Gangster ausprobieren, der es wagte, seiner Schwester zu nahe zu kommen.
Heute hatte Sascha mehr als nur den Streik im Kopf. Lange vor der Unterrichtsstunde machte er sich auf den Weg zu der staubigen Apotheke in Chinatown. Unterwegs wehrte er sich mit Füßestampfen und Händereiben gegen die Kälte, die die ganze Stadt fest im Griff hielt.
Als er ankam, scheuerte Shen gerade den Fußboden. Sascha nahm eine Scheuerbürste und half ihr. Nach einer Weile richtete sich Shen auf, warf die Bürste in den Eimer mit Seifenwasser und sah Sascha so durchdringend an, dass er errötete.
»Was gibt es denn?«, fragte Sascha.
»Sollte das nicht meine Frage sein?«
»Kann ich nicht zu dir kommen, ohne dass du annimmst, ich sei wieder mal in der Klemme?«
»Nach meiner bisherigen Erfahrung …«, grinste Shen. »Nein.«
»Vielleicht wollte ich mit dir ja nur über Baseball reden.«
»Ach, wirklich? Hast du schon von dem neuen Pitcher gehört, den die Yankees in die Mannschaft geholt haben?«
»Wen? Den Italiener? Ich glaube nicht, dass der sein Geld wert ist.«
»Ja, der Meinung bin ich auch. Nicht als Pitcher.« Shen beugte sich zu ihm, als wollte sie ihm einen heißen Börsentipp geben. »Aber weißt du was? Ich habe ihn neulich bei einer Schlagübung beobachtet. Und da war er großartig.«
»Pah, das ist nicht Baseball«, sagte Sascha abschätzig, »diesen Anfänger zu einem Schläger zu machen ist das Dümmste, was die Yankees in ihrer ganzen Geschichte je getan haben. Aber wieso warst du überhaupt beim Schlagtraining der Yankees?«
»Ach«, sagte sie und winkte mit der Hand. »Ein alter Shaolin-Trick. Man kann Leute dazu bringen, dass sie einen nicht sehen wollen, ganz einfach. Ich kann es dir bei Gelegenheit vorführen, wenn du versprichst, es natürlich nur für deine Baseballleidenschaft einzusetzen.«
Sie stand auf, hob den schweren Wassereimer hoch und trug ihn zur Rückseite der Übungshalle. Sascha folgte ihr. Als er wieder von den Yankees redete, unterbrach sie ihn.
»Lily wird in den nächsten Minuten eintreffen. Warum sagst du nicht, worüber du eigentlich mit mir reden wolltest?«
Sascha biss sich auf die Lippen. Er wollte Shen wegen Wolf fragen. Doch jetzt, da er ihr direkt gegenüberstand, brachte er es einfach nicht fertig. Abgesehen von Wolfs Geständnis, dass er den Mord an Shens Ehemann nicht hatte verhindern können, hatten weder Wolf noch Shen irgendetwas über ihre gemeinsame Geschichte preisgegeben. Er wusste, dass Wolf in Shen verliebt war, das sah jeder. Während aber Lily romantische Ideen von einer Liebe unter einem unglücklichen Stern hatte, war sich Sascha da nicht so sicher. Er hatte Shen sehr genau beobachtet, aber kein Wort, keinen Blick, kein angedeutetes Lächeln, aus dem hervorgegangen wäre, dass ihr Wolf mehr bedeutete als irgendeiner ihrer Schüler. Und doch …
Zögernd berichtete Sascha ihr von der seltsamen Begegnung mit Morgaunt und von seinem Verdacht, Wolf könnte sie beabsichtigt haben.
»Das mag sein«, sagte Shen ganz ruhig.
»Aber warum?«
»Das musst du Wolf fragen.«
»Shen!«
»Ich weiche deiner Frage nicht aus. Ich verstehe Wolf wirklich nicht. Manchmal frage ich mich, ob er sich selbst versteht. Jedenfalls hat er einen abartigen Drang, Leute auf die Probe zu stellen, mir fällt kein besseres Wort ein. Ich habe den Eindruck, er ist im Stillen davon überzeugt, dass jeder ihn früher oder später verraten
Weitere Kostenlose Bücher