Der Schattenjäger (German Edition)
würde.
»Wo ist Morgaunt?«, fragte Wolf sie in einem Ton, aus dem Sascha entnahm, dass sie sich besser kannten, als er vermutet hatte.
»Ganz gleich, wo er sein mag, hier können Sie nicht auf ihn warten.« Sie rauschte im taubengrauen Seidenkleid durch den Raum und nahm hinter Morgaunts Schreibtisch Platz. »Das ist meine Bibliothek und ich möchte daraus keinen öffentlichen Wartesaal machen.«
Ihre Stimme betörte durch Weiblichkeit, aber die Worte hatten eine Härte, die wohl niemand, auch nicht Wolf, infrage stellen wollte.
»Dann sagen Sie mir, wo er ist«, erwiderte Wolf schroff.
»Eben das hatte ich vor. Es besteht wirklich kein Grund, unhöflich zu werden.«
Wolf kniff die Lippen zusammen.
»Natürlich wollte ich Sie keineswegs eine Göre nennen«, sagte Bella da Serpa, so als könnte sie Wolfs Gedanken lesen und eine Frage beantworten, die er gar nicht laut gestellt hatte. »Aber ich finde es interessant, wie Sie sich selbst sehen. Es ist sicherlich nicht leicht, als Waisenkind aufzuwachsen. Man ist da früh auf sich selbst gestellt.«
»Mit Ihrer Salonraffinesse können Sie mich nicht beeindrucken.«
»Und Sie mich nicht mit Ihren groben Manieren.«
Sie erhob sich von ihrem Schreibtisch, zog ein Schlüsselkettchen aus einer geheimen Tasche ihres elegant geschnittenen Kleides und fasste einen kleinen goldenen Schlüssel. Dann trat sie an einen hohen Mahagonischrank und schloss ihn auf. Er enthielt lange Reihen von gold und weiß schimmernden Ätherographenwalzen, alle versehen mit Etiketten in einer anmutigen Frauenschrift, die zweifellos Bellas war.
Sascha staunte. Er fragte sich, ob auch seine Aufnahme sich darunter befand oder ob Morgaunt sie anderswo verwahrte. Bella nahm einen Karton aus dem untersten Regal, trug ihn zum Schreibtisch und kippte den Inhalt auf die Schreibunterlage.
Sie begann, die zwanzig bis dreißig unbeschrifteten Walzen mit kleinen weißen Etiketten, die an einem grünen Band hingen, zu versehen.
»Beim Bau der neuen U-Bahn-Linie nach Harlem hat es einen Einsturz gegeben«, sagte sie, nachdem sie die ersten Etiketten beschriftet hatte. »Bestimmt haben Sie die Explosion gehört, als Sie durch den Park gingen. Wenn Sie zur Ecke Lexington und 92 nd gehen, finden Sie Mr Morgaunt. Er wollte persönlich die Aufräumarbeiten überwachen, bevor das Projekt noch weiter hinter den geplanten Termin zurückfällt.«
Wolf äußerte sich nicht zu dieser Auskunft. Wie Sascha starrte er nur auf die Ätherographenwalzen.
»Verbinden Sie zufällig etwas mit dem Namen Naftali Asher?«, fragte Wolf.
Sie beschrieb ein weiteres Etikett und begutachtete mit schief gelegtem Kopf ihre Arbeit, als prüfte sie ein Manuskript auf seine Echtheit.
»Warum lassen Sie es zu, dass er Sie so ausnutzt, Bella?«
Ein verschlagenes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. »Weil er mir erlaubt, ihn in gleicher Weise zu benutzen.«
Wolf machte ein verächtliches Geräusch.
»Ach, was soll’s, seien wir doch offen zueinander!«, sagte Bella spöttisch lachend. »Ich traue Ihnen nicht, Wolf. Schon bei unserer ersten Begegnung wusste ich es. Und wenn Sie daran denken, was aus den Menschen geworden ist, die Ihnen vertraut
haben
, dann müssten Sie mir eigentlich recht geben. Morgaunt hat seine Fehler, und ich habe weiß Gott mehr von diesen gesehen als jeder andere. Aber er ist ein Macher, der etwas erbaut und nicht vernichtet. Er hat Fabriken und Unternehmen gegründet, die Tausende in Arbeit und Brot bringen. Und auch in dieser Bibliothek arbeitet er an einer gewaltigen Vision, deren Tragweite Sie vermutlich gar nicht ermessen. Sie hingegen, Sie sind der Typ des gefährlichen Idealisten, der gleich das ganze Haus einreißt, nur weil ihm die Tapete im Salon nicht gefällt.«
»Und woran arbeitet Morgaunt hier?«, fragte Wolf mit eindringlicher Stimme. »Seit Jahren schon beobachte ich, wie Sie um den ganzen Globus reisen und die größte Sammlung aus Texten der schwarzen Magie zusammentragen, die je unter dem Dach einer Bibliothek vereinigt worden ist. Habe ich nicht allen Grund, eine solche Macht zu fürchten? Habe ich nicht Grund anzunehmen, dass ein Mann wie Morgaunt eine Gefahr für die Demokratie darstellt?«
»Demokratie«, sagte Bella mit so viel Verachtung in der Stimme, dass es Sascha fröstelte. »Für mich ist das Lynchjustiz, mehr nicht.«
»Vielleicht, Bella«, sagte Wolf leise. »Aber Morgaunt ist nicht die Lösung. Er ist nicht Ihr Freund. Er ist niemandes Freund.«
»Einen besseren
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