Der Schattenjäger (German Edition)
sofort schuldig. Vielleicht war er wieder dabei, das Falsche zu tun. Vielleicht sollte er Wolf über Moisches Angebot, ihn zu Sam zu bringen, erzählen. Andererseits hatte Moische ausdrücklich gesagt, dass Sam nur Sascha vertraue. Erst musste er Sam anhören. Was war daran so schlimm?
»So viel wissen wir jedenfalls«, fuhr Wolf fort, »anfangs ist Asher krank und abgebrannt, und wenige Monate später ist er der Liebling der Bowery und der berühmteste Klezmermusiker in New York. Und die Lieder, die er so hinreißend spielt, kommen direkt aus Edisons Klangkonserven. Also lautet die große Frage: Wer hat Naftali Asher diese Musik verschafft?«
In diesem Augenblick fiel ein langer, schmaler Schatten auf den Tisch. Sascha hob die Augen und erkannte Paddy Doyle, der auf die Runde herabschaute. Der junge Mann ignorierte geflissentlich Inquisitor Wolf, Sascha und selbst seinen einst besten Freund Philip Payton und richtete seine strahlend blauen Augen nur auf Lily und schenkte ihr sein charmantes Lächeln.
»Da ist ja Miss Lily, die ebenso reizende wie gewandte Baseballschlägerin von der Fifth Avenue«, legte er leicht gestelzt los. »Wie befinden Sie sich heute Morgen?«
»Sehr gut, danke der Nachfrage«, antwortete Lily, als ob sie sich mit einem High-Society-Freund ihrer Mutter unterhalten würde und nicht mit einem Hexer aus Hell’s Kitchen.
»Haben Sie schon gehört, wie sich die Yankees gegen Boston geschlagen haben?«
»Nur dass wir gewonnen haben.«
»Das haben wir in der Tat.« Sein Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. »Ein glänzender Sieg mit großartigen Werferleistungen auf beiden Seiten. Und als O’Malley dann der entscheidende Sieglauf gelang, schlitterte er mit den Spikes zuerst ins Homebase und hobelte dem Werfer den Knieschutz weg.«
»Und lief das Blut in Strömen?«, fragte Lily mit vampirhafter Freude.
»Oh, und wie es lief! Ein prächtiger Anblick!«
»Waren Sie dabei?«
»Hab mich über den hinteren Zaun reingeschlichen.«
»Ach, wenn ich doch ein Junge wär’!«, seufzte Lily. »Aber so komme ich nicht rein, selbst wenn ich mir eine Eintrittskarte kaufte. Meine Mutter findet nämlich, dass es sich für junge Damen nicht schickt, sich Spiele der Profiliga anzuschauen.«
»Das ist wirklich schade«, bedauerte Paddy. »Ich hätte sicherlich mehr Vergnügen mit Ihnen gehabt, als mit der jungen Dame, die ich als Begleitung hatte. Sie wusste die Finessen des Baseballspiels nicht zu schätzen. Statt das Spiel anzuschauen, wollte sie mich immer nur küssen.« Und mit gespieltem Entsetzen fügte er hinzu: »Können Sie sich das vorstellen?«
Nach Lilys Gesichtsausdruck zu urteilen, tat sie das in Gedanken tatsächlich.
»Hast du nichts Besseres zu tun, als Miss Astral zu belästigen?«, fauchte Sascha. Er sprach Lilys Nachnamen mit Bedacht und sehr deutlich aus, damit es keine Unklarheit gab. Paddy wurde blass, als er ihn hörte, ja, er schien sogar etwas unsicher.
»Noch einen guten Tag«, wünschte Paddy dann lieber, »Inquisitor Wolf, Mr Payton, Mr Kessler und« – hier warf er einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf Lily – »Miss Astral.«
»Nun«, fragte Wolf Payton, als sich die Türen hinter Paddy wieder geschlossen hatten, »was haben Sie herausgefunden?«
»Der größte Teil von Kid Klezmers Aussagen wurden bestätigt. Bei Pentacle gearbeitet, völlig abgebrannt. Ich habe sogar das Pfandhaus ausfindig gemacht, wo er seine Klarinette verpfändete, um die Monatsmiete zu bezahlen. Und jetzt werden Sie staunen. Der Pfandleiher sagte, die Klarinette habe nur eine Nacht im Pfandhaus gelegen. Am nächsten Tag bezahlte Asher in bar und verkündete, er habe jetzt einen neuen Job und brauche sich um Geld keine Sorgen mehr zu machen. Er werde noch der größte Klezmermusiker, der je gelebt hat.«
»Das passt zu den Aussagen seiner Ehefrau«, meinte Lily. »Nein«, widersprach Payton, »das ist der entscheidende Punkt. Das war zwei Monate, bevor ein Theaterdirektor ihn als Klarinettist unter Vertrag genommen hat. Zwei Monate vor seinem ersten Konzert hatte er schon einen Job und sein Gehalt.«
Alle starrten Payton an.
»Rätselhaft«, sagte Sascha. »Wer hat ihn angestellt?«
»Morgaunt?«
»Aber warum?«
»Er musste etwas haben, was Morgaunt brauchte. Etwas, das Morgaunt viel Geld wert war. Etwas, wofür er bereit war, ihm Edisons Klangkonserven zu geben, um sie in Klezmerlieder zu verwandeln.«
»Was konnte denn ein armer Näher wie Naftali Asher haben, was
Weitere Kostenlose Bücher