Der Schattenjäger (German Edition)
Morgaunt unbedingt besitzen wollte?«, fragte Lily.
»Ich weiß es nicht«, sagte Payton mit entschlossener Miene, »aber ich werde es herausfinden.«
16 Sams Geheimnis
An diesem Abend kam Sascha schon früh nach Hause. Während des Abendessens saß er unruhig am Tisch und schreckte jedes Mal hoch wie ein Sprinter beim Startschuss, wenn draußen auf dem Flur eine Tür aufging oder die Treppe knarzte.
Als Moische schließlich an die Tür klopfte, entschuldigte sich Sascha bei seinen Eltern, er müsse noch einmal nach oben in die IMW -Zentrale, um mit einem Freund etwas zu besprechen.
»Den brauchst du nicht«, sagte Moische, als Sascha seinen Mantel vom Haken nehmen wollte. »Der ist nur unpraktisch, wo wir hingehen.«
Moische verließ die Wohnung und ging treppauf, führte Sascha an der IMW -Zentrale vorbei bis zu einer weiteren, steilen Treppe und geradewegs aufs Dach.
»Wohnt er auf dem Dach?«, fragte Sascha ungläubig. Moische lächelte nur geheimnisvoll und schritt quer über das Flachdach. Sascha folgte ihm in das Labyrinth der Mietskasernendächer. Sie kletterten an Gesimsen entlang und sprangen über schmale Gassen. Es war nicht leicht, sich zu orientieren, aber Sascha hatte das Gefühl, dass sich Moische Richtung Allen Street bewegte. Als er das Dröhnen der Hochbahn hörte, die gleich einem donnernden Sturzbach tief unter ihnen entlangfuhr, war er sich sicher.
Doch zu wissen, wo man sich befand, war das eine, hinunterkommen, ohne sich den Hals zu brechen, das andere. Als sich Moische schließlich über ein schmutziges Oberlichtfenster kniete und es öffnete, war Sascha erleichtert, die Dächer wieder den Vögeln zu überlassen und in die Welt der Menschen zurückzukehren.
Moische schaute sich um, ließ sich in den leeren Treppenaufgang gleiten und half dann Sascha beim Abstieg. Flink wie eine Katze schlich er hinunter. Sascha folgte ihm über ein, zwei, drei Treppen und merkte, dass Moische ihm einen Umweg über die Dächer mehrerer Häuserblocks zugemutet hatte, um ihn nun geradewegs in den Keller zu führen. Sascha mochte die gammeligen Kellergeschosse der Mietskasernen nicht. Dort sammelten sich Abschaum und Verderben und hier waren die illegalen Bier- und Schnapskneipen.
Dieses Kellergeschoss gehörte zur modrigen Sorte, das roch er sofort. Genauer gesagt, war es nicht einmal ein ausgebautes Kellergeschoss, sondern nur eine in die Erde gegrabene Höhle unterhalb des Gebäudes, in die man nur gebückt und auf allen vieren krabbeln konnte. Elektrisches Licht gab es auch nicht.
Dafür gab es Geräusche. Sascha wusste nicht recht, was es war, aber es wurde mit jedem Schritt immer lauter. Erst hörte es sich an wie fließendes Wasser, doch dann wurde aus dem Plätschern ein Gurgeln und aus dem Gurgeln ein geisterhaftes Krächzen, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Moische huschte von einer dunklen Kammer in die nächste und Sascha blieb ihm auf den Fersen. Erst tastete er sich mit einer Hand an den Wänden entlang, aber bald wurden die Ziegelwände so feucht und schmierig, dass er lieber die Orientierung verlieren wollte, als sich zu ekeln. Außerdem war klar, dass Moische auf die Kammer mit dem Gekrächze zusteuerte. Dann öffnete Moische die Tür und unter der niedrigen Kellerdecke wogte ein graues Meer von Federn. Bei dem Anblick hätte Sascha beinahe laut gelacht: Es war Mrs Moguleskos Gänseschar.
Zwar wusste Sascha, dass sie ihr Federvieh in Kellern hielt und ständig den Standort wechselte, um den Kontrollen der Hygienebehörde zu entgehen. Aber er hatte keine Vorstellung, wie
viele
Gänse sich Mrs Mogulesko hielt. Und er wusste erst recht nicht, wie sich eine Gänseschar im Dunkeln anhörte – vor allem für jemanden, dessen Nerven angespannt waren und der das Schlimmste befürchtete. Moische schob Sascha in den Raum, drängte die Gänse mit den Füßen beiseite und schloss die Tür gerade noch rechtzeitig, ehe ein paar wagemutige Tiere das Weite suchten. Dann schaute er sich suchend um.
Dieser Kellerraum war heller als die anderen. Es gab mehrere vergitterte Fenster, die auf einer Seite einen schmutzigen Luftschacht zeigten und auf der anderen den Ausblick in eine leere Gasse.
Sascha folgte Moisches Beispiel, sein Blick fiel auf ein Brettergestell an der hinteren Wand, das wie ein Regal aussah. Auf diesem Gestell saß, zusammengekrümmt wie ein unterernährtes Vogeljunges, das aus dem Nest gefallen war und nun nicht wusste, wie es wieder hineinkam, Moisches Bruder
Weitere Kostenlose Bücher