Der Schattenjäger (German Edition)
nicht recht, was er sagen sollte. »Wir haben in letzter Zeit viel zu tun. Wir denken nämlich an Umzug.«
»Aber doch hoffentlich nicht weg aus dem Viertel?«
»Genau das.«
»Ah.« Sullivan sah Payton stirnrunzelnd an und schien seine Worte wohlbedacht zu wählen. »Ist es wegen dieses unerfreulichen Vorfalls? Das wird gewiss nicht wieder geschehen.«
Payton sah Sullivan in die Augen. »Mein Vater ist da anderer Meinung.«
»Ah«, machte Sullivan wieder.
Sascha schaute Lily fragend an, doch sie schüttelte nur den Kopf.
Eine peinliche Stille trat ein. Als Payton schließlich das Schweigen brach, klang er nicht so selbstsicher wie gewohnt. »Mein Vater meint, wir müssten in ein Viertel, wo nur Leute wie wir wohnten. Und damit ist er nicht allein. Viele denken daran, nach Harlem zu ziehen.«
Sullivan war plötzlich ganz damit beschäftigt, die bereits glänzenden Zapfhähne zu putzen. »Ich kann einen Mann nicht dafür tadeln, dass er alles tut, damit seine Familie in Sicherheit lebt«, sagte er schließlich. »Und tatsächlich habe ich schon von vielen Leuten gehört, die nach Norden ziehen, da ja jetzt die U-Bahn-Linie über den Park hinaus verlängert wird. Wie sind denn die Mieten in Harlem?«
»Ich, äh … eigentlich wollen sie sich in Harlem ein Haus kaufen.«
»Oho!« Sullivan verlagerte das Gewicht auf die Hacken. »Das ist was Feines, ein eigenes Haus zu besitzen, dagegen ist nichts einzuwenden. Obwohl ich finde, dass es ein Verlust für das ganze Viertel ist, wenn ihr wegzieht.« Und mit Blick auf den betrunkenen Gast, der sich über Paytons Anwesenheit beklagt hatte, fügte er mit donnernder Stimme hinzu: »Mir sind farbige Nachbarn, die sich anständig benehmen, lieber als betrunkene Unruhestifter, die Samstagabend nichts Besseres zu tun haben, als den Leuten die Fensterscheiben einzuwerfen!«
Die letzten Worte scheuchten den dürren Trinker von seinem Barhocker auf und, sich hastig entschuldigend, huschte er aus dem Saloon hinaus auf die 43 rd Street. Sascha schielte zu Inquisitor Wolf rüber, doch wie immer war nicht zu erkennen, was dieser hinter seiner teilnahmslosen Miene und seinen schmutzigen Brillengläsern verbarg.
»Übrigens, Philip«, sagte Sullivan, als die Schwingtüren nach dem Abgang des Trinkers noch quietschten, »hast du in letzter Zeit mal zufällig Paddy Doyle getroffen?«
»Nein«, erwiderte Payton knapp.
»Schade«, sagte Sullivan abwägend, »ihr wart doch früher einmal so gute Freunde. Doch irgendwann werden aus kleinen Jungen eigensinnige Männer und ihre Wege trennen sich.«
»So ist es wohl«, bestätigte Payton steif.
Wolf räusperte sich, doch Sullivan war noch nicht fertig. »Ich hoffe aber, dass du noch die Zeit findest, Mrs Doyle zu besuchen, ehe du wegziehst.«
Paytons Miene entspannte sich. »Ich versuch’s.«
»Das wäre schön. Sie hat dich immer gemocht. Und ihre Jungs sind alle auf die schiefe Bahn geraten. Da fehlt eben der Vater, der die Zügel in der Hand hält. Und alle haben so eine süße Schnauze, das bekommt ihnen nicht gut. Es ist nämlich wissenschaftlich bewiesen, dass gut aussehende Iren nie auch nur eine Hand für ihren Broterwerb rühren. Meine Frau kann dir das genau erklären. Sie hat ein Buch gelesen, in dem so ein Gelehrter alles mathematisch beweist. Er hat die Beulen an den Köpfen der Leute genau vermessen.« Sullivan grinste breit und zeigte seine mächtigen, von jahrzehntelangem Kaffeetrinken gelblich-braunen Zähne. »Ich dagegen bin ein ganz unauffälliger Mann. Deshalb habe ich es im Leben auch so weit gebracht!«
Payton lachte über den Scherz – wenn es einer sein konnte, worüber sich Sascha nicht so sicher war – und kam nun an den Tisch, wo er sich Wolf gegenübersetzte.
»Gut. Was wissen wir bis jetzt?«, sagte Wolf und begann an den Fingern einer Hand einige Punkte anzusprechen. »Erstens, Naftali Asher und seine Frau kamen vor vier Jahren ohne einen Penny in der Tasche nach Amerika. Zweitens, Asher war ein ganz gewöhnlicher Klezmermusiker, aber – wenn wir Kid Klezmers Aussage zu dem Hasszauber Glauben schenken – ein mächtiger Zauberer. Drittens, als Musiker bekam Asher kein Engagement, wohl aber fand er Arbeit bei Pentacle.«
»Wenn wir herausbekämen, was hinter der Arbeit für Pentacle steckt«, unterbrach Payton, »würde sich schlagartig das ganze Rätsel lösen.«
»Das meine ich auch«, stimmte ihm Wolf zu. »Aber das muss warten, bis wir Sam Schlosky gefunden haben.«
Sascha fühlte sich
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