Der Schattenjäger (German Edition)
er die Reihe der Jugendlichen ab, blickte jedem Einzelnen in die Augen, bis er zu Moische kam.
Moische erwiderte unerschrocken Minskys Blick, was die meisten Gangster in New York nicht fertigbrachten. Sie starrten sich fast eine ganze Minute lang an, immer näher zusammenrückend, dass Moische schon schielte.
»Ihr glaubt wohl, dass ihr J. P. Morgaunt schlagen könntet«, sagte Minsky schließlich. »Ihr glaubt das tatsächlich. Ja, ihr glaubt, dass ihr die ganze Welt verändern könnt, stimmt’s?«
Moisches Augen tränten beinahe vor lauter Anstrengung, nicht zu zwinkern. Er sah aus, als hätte er das Atmen vergessen, und Sascha fürchtete schon, dass Moische im nächsten Augenblick in Ohnmacht fallen würde. Doch dann fasste Moische sich und sprach. »Irgendeiner muss es ja tun. Da können wir es gleich übernehmen.«
Einen Augenblick rührte sich Minsky nicht. Dann trat er beiseite und lachte. »Hast du das gehört, Benny? Die Rasselbande hier will die Welt verändern! Was sagst du dazu?«
Dopey Benny stand immer noch mit verschränkten Armen da und sah mit halb geschlossenen Augen auf die Streikenden. »Ich finde, ihr solltet wieder an die Arbeit gehen«, sagte er schließlich. »Das wär gesünder.«
»Das ist das Feigste, was ich je gehört habe!«, platzte es aus Beka heraus. »Sie sollten sich schämen, Benny!«
»Ja, aber.«
Minsky schmunzelte über die Verlegenheit seines harten Wachhunds, aber da wandte sich Beka energisch um und war bereit, sich auch den Boss vorzunehmen. Sie hob sogar einen Finger, als wollte sie dem Gangster ins Gewissen reden. Dann fiel ihr ein, mit wem sie es zu tun hatte.
»Was wollten Sie sagen, Mademoiselle?«, schnurrte Minsky.
Einen Augenblick lang dachte Sascha, dass Beka einen Rückzieher machen würde, aber da kannte er seine Schwester schlecht.
»Ich wollte sagen«, hielt sie Minsky mit einem verächtlichen Zug auf ihren Lippen entgegen, »dass ein Gentleman für kein Geld dieser Welt Mädchen verprügeln würde. Aber es ist ja offensichtlich, dass Sie Morgaunts Angebot aus Angst nicht ablehnen, um das zu tun, was eigentlich richtig wäre!«
»Ich werde Ihnen diese Frechheit nicht verübeln«, sagte Minsky zu Beka, »weil Sie Ihrem Gewissen folgen, wie es sich für gute jüdische Mädchen gehört. Wie es schon in der Bibel heißt:
Eine tüchtige Frau übertrifft alle Perlen an Wert.
Aber zu den jungen Männern muss ich sagen – und ich mache allen, auch dem Jüngsten unter euch, ein Kompliment, da ihr bereit seid, euch die Köpfe blutig schlagen zu lassen: Überlegt es euch lieber besser, als mich so zu beleidigen, wie dieses Mädchen es gerade getan hat. Und Miss Kessler«, warnte sie Minsky mit einem schlauen Grinsen, »wenn eine junge Frau einen Kerl ständig beschimpft, muss der annehmen, dass sie in ihn verliebt ist.«
Das verschlug Beka die Sprache – sie wurde blass, knöpfte ihren Mantel bis zum Hals zu und verstummte.
Minsky fuhr mit seiner Ansprache fort. »Ihr wünscht euch, dass ich
mit
euch kämpfe, wenn ich euch recht verstehe. Vielleicht tue ich das, vielleicht aber auch nicht. Also seid freundlich zu mir, wenn ihr weiterhin in dieser Stadt leben wollt. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Kampf angefangen, aber ich bin nie einem ausgewichen, noch habe ich je einen verloren.«
»Heißt dass, Sie helfen uns, den Streik zu gewinnen?«, fragte Moische so ruhig und gelassen, als hätte er die Drohung des meistgefürchteten New Yorker Gangsters überhaupt nicht gehört.
Minsky musterte Moisches schmächtige Gestalt, ließ den Blick auf dem dünnen Hals und den knochigen Handgelenken des jungen Mannes verweilen, bis ein Anflug von einem Lächeln auf seinen Lippen lag. »Ich überlege es mir«, sagte er schließlich.
»Danke, Mr Minsky«, freute sich Moische. »Sie werden das Rechte tun, da bin ich mir sicher. Und Sie werden es nicht bereuen.«
Aus Minskys Lächeln wurde ein Grinsen. »Junge«, sagte er, »ich bereue es jetzt schon!«
»Du hast dich tapfer geschlagen da drin«, sagte Sascha zu Moische, als sie den Süßwarenladen verlassen hatten und wieder auf dem Heimweg waren.
Moische schien von dem Kompliment überrascht zu sein, als ob es ihm ungewohnt war. »Du aber auch«, erwiderte er. Moische verlangsamte seine Schritte, sodass beide jetzt hinter den anderen zurückblieben. Stockend begann er zu sprechen. »Ich, äh, ich wollte mit dir über etwas sprechen. Was Persönliches.«
Sascha wartete.
»Eine Person, die wir beide
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