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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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war Aufgabe der Inquisitoren, den Pinkertons Begleitschutz bis zur Streikfront zu geben. Sascha war empört über diese Ungerechtigkeit, doch Lily zuckte nur mit den Schultern und fragte, was er denn erwartet habe. Und als Wolf Saschas Entsetzen mitbekam, brachte er ihn mit einem strengen Blick zum Schweigen.
    Fair oder unfair, zwanzig Minuten nach sieben standen sie alle auf dem Bahnsteig und warteten. Sascha wusste nicht recht, wie er sich die Privatdetektive vorstellen sollte. Doch als der Zug eingelaufen war und sich die Türen öffneten, übertraf die Wirklichkeit seine wildesten Phantasien.
    Die Männer waren Buffalo Bills Wildwest-Show entsprungen und sie klangen auch so. Die wenigen normalen Pendler im Zug mochten ihren Ohren nicht trauen und machten sich rasch aus dem Staub. Unter den Pinkertons schien ein Wettbewerb zu laufen, wer am lautesten fluchen konnte und wer die verwegenste Barttracht trug. Koteletten und gezwirbelte Oberlippenbärte, Spitz- und Seemannsbärte in allen Größen und Schattierungen, ja sogar hängende mexikanische Schnauzer wurden vorgeführt.
    Und das war nicht ihr einziger Wettstreit. Während sie die Kofferträger beiseitedrängten und auf breiter Front den Bahnsteig in Beschlag nahmen, musste selbst ein sehr zerstreuter Beobachter bemerken, dass sie ein beängstigendes Arsenal an Waffen mitgebracht hatten. Beim Anblick der aufmarschierenden Pinkertons drängte sich Sascha der Gedanke auf, dass die Polizei Schutz vor den Pinkertons bräuchte.
    Immerhin ließen sich die Privatdetektive in die Polizeiwagen verfrachten, mit denen sie dann zur Pentacle-Fabrik fuhren. Sie kamen gerade rechtzeitig, um Zeuge der ersten Rangeleien zwischen einigen Streikenden und Fabrikwachleuten zu werden.
    Sie stiegen aus und bezogen in der Straße gegenüber der Fabrik Stellung.
    Sascha versuchte sich ein Bild von der Lage zu machen. Die breite Straße vor den Fabriktoren sah aus wie ein Militärlager am Tag vor der Entscheidungsschlacht. Im Licht der Morgensonne blitzten die Schienen der Straßenbahn und die Bajonette der Soldaten. Das Kopfsteinpflaster dehnte sich bis zu den Fabriktoren wie die Wellen eines dunklen Sees. Auf dem Bürgersteig gegenüber, zwischen der Front der Polizei- und Milizkräfte und den Fabriktoren, tummelte sich die laute Meute der Pinkertons und der Schläger, die hier als Streikbrecher auftraten.
    Sascha war innerlich zerrissen. Er wollte den Streik sehen, aber fürchtete auch, von seiner Schwester oder Moische aufseiten der Polizei erkannt zu werden. Sie würden denken, er helfe den Streikbrechern.
    »Was geht hier vor?«, fragte er nervös. »Was sollen wir tun?«
    »Was uns befohlen wird«, lautete Wolfs knappe Antwort.
    »Das hier gehört nicht zu unseren Aufgaben«, widersprach Sascha. »Wir sind Polizisten, keine Streikbrecher!«
    »Sag das Polizeipräsident Keegan.«
    Unter den Ordnungskräften verbreitete sich das Gerücht, Morgaunt habe entschieden, die Fabrik gegen Mittag zu schließen und die Streikenden hinauszuwerfen, ehe es überhaupt zum Aufruhr käme. Darauf folgte das Gerücht, die Streikenden würden nun bereits um zehn Uhr auf die Straße gehen.
    Die entscheidende Stunde rückte näher und die Straßen um die Pentacle-Fabrik lagen in tiefer Stille. Passanten mieden die Gegend instinktiv, wie Pferde den herannahenden Sturm. Auch die Straßenbahnen und Omnibusse fuhren nicht mehr planmäßig, denn Keegan hatte als Teil seiner Sicherheitsmaßnahmen ihren Betrieb gestoppt.
    Es herrschte solche Stille in den Straßen, dass man das Läuten der über eine Meile entfernten Trinity Church hören konnte. Eine Minute verging, dann noch eine, zwei. Aber nichts geschah. Niemand kam aus der Pentacle-Fabrik oder aus den anderen Fabriken und Bürohäusern in den umliegenden Straßen.
    »Feiglinge!«, bellte ein Milizionär nur wenige Schritte von Sascha entfernt. »Alles bloß Geschwätz. Wenn wir hier stehen, trauen sie sich nicht, zu streiken.«
    »Jungs«, sagte der Hauptmann der Abteilung, »ich wette einen Silberdollar, dass wir zum Abendessen alle wieder zu Hause sind.«
    Doch dann war zuerst ein Rumpeln zu hören, wie das Geräusch eines in der Ferne vorüberfahrenden Güterzugs. Es begann leise und wurde lauter. Es schwoll an, bis es dem Donnern eines mächtigen Flusses glich, der durch die Häuserschluchten drängte und sie wegfegen würde wie eine Regenflut, die durch einen Wüstencanyon schoss.
    Schlagartig wurden in der Straße alle Türen der Fabrikgebäude

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