Der Schattenjäger (German Edition)
Schlosky. Aber welche Rolle spielst du in der Geschichte?«
»Das weiß ich selber nicht«, sagte Sascha schlotternd. »Ich weiß nur, dass Morgaunt glaubt, ich sei ein großer Magier oder werde später mal einer sein. Und er will, dass ich für ihn arbeite.«
»Und wirst du das?«, fragte ihn Minsky behutsam.
Sascha schüttelte nur heftig den Kopf. Minsky verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete ihn lange mit halb zusammengekniffenen Lidern.
»Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll«, sagte er schließlich. »Und noch etwas: Es war mein Plan, dich hier nicht lebend herauszulassen. Aber jetzt, jetzt muss ich unbedingt mit einer Reihe schwerer Jungs aus der ganzen Stadt reden.« Minsky lachte grimmig. »Ich glaube, es ist an der Zeit, alle New Yorker Straßengangs mal zusammenzutrommeln. Ihr habt doch eine Gewerkschaft der Magischen Werktätigen. Vielleicht sollten wir uns eine Scheibe abschneiden und eine Gangstergewerkschaft gründen, ehe J. P. Morgaunt uns wie eine Dampfwalze überrollt und in der ganzen Stadt das Monopol über schwarze Magie übernimmt.«
Allmächtiger Gott im Himmel,
dachte Sascha,
jetzt habe ich einen magischen Bandenkrieg losgetreten
.
Minsky ging zur Tür und riss sie auf. »Geh heim, Junge, und Scherereien aus dem Weg. Aber an deiner Stelle würde sich alles unterlassen, was mich noch nervöser machen könnte, als ich wegen dieser Sache sowieso schon bin.«
Statt heimzugehen, lief Sascha in die Canal Street zur kleinen Schul seines Großvaters. Instinktiv suchte er Hilfe bei dem einzigen Menschen, von dem er annahm, dass er ihn retten könnte. Er stürmte hinein, schlug die Tür hinter sich zu und schaute durch das Fenster hinaus auf die dunklen Straßen, die ihm jetzt fremd und gefahrvoll vorkamen.
»Er ist zurück, nicht wahr?«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihm.
Sascha drehte sich mit klopfendem Herzen um. Doch es war nur Mo Lehrer, der gerade die Schul des Rabbi auskehrte.
»Wo ist mein Großvater?«
Mo wies mit dem Kinn auf das Hinterzimmer, wo gerade in diesem Augenblick Rabbi Kessler mit einem offenen Buch in der Hand und über beide Ohren grinsend erschien. »Hör dir das mal an, Mo! So beantwortet Rabbi Halberstam deine Frage. Und weißt du was? Ich stimme in keinem einzigen Punkt mit ihm überein!« Rabbi Kessler kicherte schon in Vorfreude. »Krempel die Ärmel hoch, Mo. Uns bleibt noch viel zu tun!«
Erst da sah er Sascha.
»Er hat einen Jungen umgebracht«, sagte Sascha zusammenhanglos. »Moisches Bruder. Er war kaum älter als ich.«
»Oh, Sascha. Das tut mir leid, dass dieses Unheil über dich gekommen ist.«
»Bitte, Großvater, du musst etwas unternehmen, damit das aufhört!«
»Ich kann nicht.«
»Bloß wegen so einer dummen Vorschrift.«
»Nein, nicht wegen einer dummen Vorschrift, Sascha. Ich kann dir nichts beibringen, was das Unheil aufhält,
weil ich nicht weiß, wie
.«
Sascha war den Tränen nahe. Bis zuletzt hatte er im Stillen geglaubt, sein Großvater wüsste, was ihn vor dem Dibbuk retten könnte. Doch nun las er in den weisen Augen des Rabbis, dass dafür keine Hoffnung bestand.
»Wozu dann das alles?«, fragte er und wies mit der Handbewegung auf die staubige kleine Schul, die ihm plötzlich noch ärmlicher und schäbiger vorkam als je zuvor. »Wie kannst du behaupten, anderen etwas beizubringen, wenn du es selber gar nicht kannst?«
»Sascha«, sagte Mo, »die Leute kommen nicht hierher, um Magie zu erlernen. Sie kommen hierher, weil sie verstehen wollen, was sie ist. Und das ist von großem Nutzen. Wie lautet der geheimste Name des Allmächtigen, Sascha.
Ich-bin-was-ich-bin
. Nichts in der ganzen Schöpfung ist mächtiger – im wahrsten Sinne des Wortes –, als zu verstehen, was man ist.«
»Na klasse! Und wie rettet das mein Leben?«
Rabbi Kessler seufzte. »Ich weiß es nicht«, sagte er mit Tränen in den alten Augen. »Aber mehr habe ich dir nicht zu bieten.«
Den neben ihnen stehenden Mo schienen sie vergessen zu haben, und als Rabbi Kessler schließlich etwas sagte, bat er nur: »Hol mir ein Glas Wasser, Sascha.« Dieser sah seinen Großvater ungläubig an. Doch Rabbi Kessler lächelte, und wenn er so lächelte – das wusste Sascha aus Erfahrung –, waren Widerworte zwecklos. Deshalb nahm er das stets auf dem Tisch bereitstehende Wasserglas seines Großvaters und suchte mit den Augen, bis er den Wassereimer entdeckte. Der stand, wie daheim mit einem sauberen Tuch bedeckt, in einer Zimmerecke. Sascha
Weitere Kostenlose Bücher