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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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aufgezogen und Arbeiter und Arbeiterinnen traten heraus. Schneider mit ihren Nadelkissen, Büromädchen in gebügelten Röcken und Blusen, Bügler mit kräftigen Oberarmen. Alle verließen ihre Arbeitsplätze. Sie taten es ruhig, geordnet und friedlich, aber dennoch legten alle die Arbeit nieder.
    Und nun verstand Sascha, wozu der Polizeipräsident die Beamten hierhergeschickt hatte.
    Um Däumchen zu drehen.
    Als die erste Reihe Streikender draußen erschien, fielen die Streikbrecher wie eine Meute wilder Hunde über sie her. Sie rissen den Büromädchen die Hüte vom Kopf und packten sie an den Haaren. Sie prügelten auf sie ein, zerrissen ihnen die Kleidung und schleiften sie über die Pflastersteine.
    Die Streikenden flüchteten auf die Straße, doch dort wartete schon die Miliz mit aufgepflanzten Bajonetten und drängte sie zurück auf den Bürgersteig. Einige Mädchen wehrten sich, wurden aber sofort wegen Störung der öffentlichen Ordnung verhaftet. Die meisten waren jedoch zu jung und zu schwach, um sich gegen die prügelnden, kräftigen Männer zu wehren. Schon gellten Mädchenschreie durch die Menge, Blut floss in der Gosse, und das Straßenpflaster war mit Fetzen von Halstüchern, Schleifen und Hüten übersät.
    Die ganze Zeit über standen die Polizisten, die Hände in den Taschen, am Straßenrand, so als ob sie das alles nichts anginge.
    Sascha wollte losrennen und den Mädchen zu Hilfe eilen. Doch eine feste Hand legte sich auf seine Brust und hielt ihn zurück.
    Er drehte sich um und sah in Inquisitor Wolfs Gesicht.
    »Willst du etwa auch verhaftet werden?«, fragte er ihn mit eindringlicher Stimme. »Was glaubst du, was du damit erreichst?«
    »Das hier ist Unrecht!«, rief Sascha.
    »Und mit einer nutzlosen symbolischen Geste willst du das Recht wiederherstellen?«
    »Zweimal Unrecht macht sicherlich nicht einmal Recht!«, erwiderte Sascha. Noch während er sprach, merkte er, dass es kindisch klang.
    Er wollte schon aufgeben und zurücktreten, als er etwas sah, was sein Herz stehen bleiben ließ: Beka stand in einer Tür und schaute auf den prügelnden Mob auf dem Bürgersteig.
    Sie hob kurz die Augen und blickte auf die Reihe der Polizisten auf der anderen Straßenseite. Sascha hätte schwören können, dass sie ihn erkannt hatte. Dann nahm sie behutsam ihren neuen Hut ab und hängte ihn über eine Spitze des schmiedeeisernen Fabriktors. Offenbar glaubte sie, dass er dort eine größere Chance hatte, seine Form zu behalten, als auf ihrem Kopf. Wie die anderen IMW -Mädchen hatte sie sich die Haare kurz schneiden lassen, um den Pinkertons weniger Angriffsfläche zu bieten. Dann holte sie tief Luft und stürzte sich in die Menge.
    An das, was Sascha nun tat, konnte er sich später nicht mehr genau erinnern. Auf jeden Fall rief er »Ich quittiere den Dienst!« und nannte Wolf wohl noch einen Lügner und Heuchler.
    Die Polizei und die Miliz waren nicht darauf gefasst, dass jemand aus ihren Reihen ausbrechen könnte. Die meisten machten Sascha Platz, da sie annahmen, er habe den Pinkertons eine Nachricht zu überbringen. Ohne selbst zu wissen, was er genau vorhatte, überquerte Sascha die Straße und bahnte sich einen Weg.
    Er sah Beka, die nur noch wenige Schritte vor ihm stand. Sie hatte sich bei anderen Mädchen untergehakt, und gemeinsam versuchten sie, eine Front zu bilden und an den Pinkertons vorbeizukommen. Fast schien es so, als ob sie damit Erfolg hätten. Doch dann baute sich ein hünenhafter Pinkerton vor ihnen auf und hob die mit einem Schlagring bestückte Faust.
    Sascha stieß einen markerschütternden Schrei aus, hob die Hände, wie er es in Shens Kung-Fu-Stunden gelernt hatte, und stürmte auf den Mann zu. Der Pinkerton musste Sascha gerade noch aus dem Augenwinkel erblickt haben. Er hielt mitten im Schlage inne, drehte sich und stellte sich seinem neuen Gegner in den Weg. Als er sah, wer ihn angriff, lachte er nur.
    »Hast du eine Ahnung!«, rief Sascha und landete im
Drachen
-Stil einen Treffer, der selbst Shen glücklich gemacht hätte. Die Faust des Pinkerton aber stieß ins Leere, er wankte und wäre beinahe auf die Knie gegangen. Bestärkt ging Sascha erneut zum Angriff über und zeigte es ihm diesmal mit
Das Chi des Drachen breitet sich über dem Wasser aus
.
    Der Mann riss die Augen auf. Entweder imponierte ihm Saschas offener Angriff oder aber ihn ärgerte der Anblick eines schmächtigen, dreizehnjährigen Jungen, der vor ihm hin und her sprang und dabei wie ein Gespenst

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