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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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wissen sie nicht einmal, worin meine wahre Schuld besteht. Ich sitze hier an dieser Wand, schaue mir jeden an, der hereinkommt, und hoffe auf den Tag, an dem ich mein Gewissen endgültig befreien kann.«
    Als Noach verstummte, ließ Levin sich an den Gitterstäben hinuntergleiten und fing bitterlich an zu weinen. Alle Kraft, die ihm noch geblieben war, weinte er in diesen zwei Stunden, an das Gitter gelehnt, aus sich heraus. Noach berichtete ihm noch das ein oder andere Detail aus den Aufzeichnungen. Schließlich bat ihn Levin um Verzeihung. Noach gewährte sie ihm, erklärte aber, dass er ihm lediglich hundertfünzig Makel schuldig sei.
    Levin verstand. Als ihm bewusst wurde, dass er nur deshalb am Leben war, weil ein anderer es ihm ermöglicht hatte, brach er vollends zusammen. Er spürte, dass ihm soeben alles genommen worden war, was er die letzten Jahre besessen hatte.
    Irgendwann war er sich so leer und ausgeblutet vorgekommen, dass er nichts mehr gefühlt hatte. Er war wieder aufgestanden und sein Verstand hatte ihm in Windeseile gesagt, was die nächsten Schritte waren.
    Im Moment waren diese Schritte klein und führten eine Wendeltreppe hinauf. Während er mit Elena ausgebrochen war, hatte er nicht mehr an Noachs Worte gedacht. Er hatte nur getan, was er zu tun hatte. Jetzt, wo Thanos und er fast die Spitze des Hauptturms erreicht hatten, merkte er, wie alles mit Macht zurückkam und auf sein Gemüt drückte.
    Es wurde Zeit, dass sie reden konnten.
    Oben angekommen stellten sie sich erschöpft an ein Fenster und schauten hinunter. Über ihnen war nur das Gebälk des Spitzdaches.
    »Sie werden also wieder verschwinden?«, fragte Thanos.
    »Das werden sie. Ganz bestimmt.«
    »Danke.« Er schaute unablässig in die Ferne. Levin folgte seinem Blick. Noch nie hatte er aus einer solchen Höhe über die Stadt geblickt. Bis zum Südtor und weit darüber hinaus konnten sie schauen. In diesem Moment schien Alsuna aus einer Unmenge flackernder Lichter zu bestehen. Selbst bei Nacht sah man die Unterschiede in den Stadtvierteln. Im Westen war es hell, Lichterketten zeichneten die Straßen nach. Dagegen sah man im Norden nur vereinzelte Lichter.
    »Ich bin oft hier oben«, sagte Thanos. »Wie einem entlaufenen Kind schaue ich der Stadt nach. Ich sehe jeden Teil von ihr und sie merkt nicht, dass ich sie anschaue. Das ist schmerzhaft.«
    Levin sagte nichts. Er sah Thanos nur an und überlegte, was als Nächstes passieren würde. Thanos wandte sich zu ihm um. »Wenn die brianische Wache dich erwischt, landest du wieder im Gefängnis.«
    »Ich weiß.«
    »Wenn du Elena geholfen hättest, hättest du deine Freiheit zurückhaben können, nicht wahr?«
    »So ist es.«
    »Warum hast das getan?«
    »Ich muss dir etwas mitteilen. Dann verschwinde ich für immer. Versprochen.«
    Sie setzten sich nebeneinander unter ein Fenster und Levin begann zu erzählen. Er versuchte nichts von dem wegzulassen, was Noach erzählt hatte, nicht eine Kleinigkeit. Ja, er glaubte sich in einer fast heiligen Botenpflicht gegenüber Noach. Alles, was er verschwieg, glich ihm einem Diebstahl, einem erneuten Raub an Noach – und noch mehr an Alvin.
    Als Levin erzählte, wie Alvin zu Tode gekommen, kniff Thanos die Augen zusammen. Tränen strömten über sein Gesicht und er schluchzte. Levin hielt inne und ließ den Erbauer weinen. Als Thanos die Augen aufschlug und nach Luft schnappte, sah Levin, dass Trauer und unermessliche Freude vereint zu sein schienen.
    Erst später sagte Thanos: »Du hast ja keine Ahnung.« Und er schluchzte weiter. »Jetzt weiß ich endgültig, dass er tot ist, und doch habe ich endlich meinen Sohn wieder.«
    Noch immer tobte die Wut in Elena. Zu ihrem Erstaunen richtete sie sich nicht gegen Levin, sondern gegen sich selbst. Sie hatte diesem Mann alles in die Hände gegeben, obwohl sie es besser hätte wissen müssen. Er hatte nichts anderes getan, als sich an ihr zu rächen. Sie hatte ihn hintergangen, jetzt hinterging er sie.
    Merkus und Sandrin hatten darauf gedrängt umzukehren, ehe die Wachen sie bemerkten. Elena hatte kleinlaut zugestimmt. Jetzt waren sie wieder im Geheimgang, fast die Hälfte hatten sie hinter sich. Elena wollte gar nicht daran denken, was sie tun würden, wenn sie auf der anderen Seite herauskamen.
    Keine Ahnung , dachte sie. Bei Gereon brauche ich gar nicht erst aufzukreuzen. Am besten suche ich mir einen ruhigen Platz und sterbe tief unglücklich über mein erfolgloses Leben.
    Es ärgerte sie, dass ihre

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